Das Grundmotiv meines Lebens

Wie begegnet man einer Zeit, die chaotischer, verlogener und grausamer nicht sein kann?  Wohin soll man fliehen, wenn man das nicht mehr aushält, was täglich bedrohlich auf uns einwirkt? Wohin soll man auswandern, wenn die ganze Welt von Bestien und Dämonen bedroht wird? Was soll man tun, wenn alle jugendlichen Ideale zu Asche verbrannt wurden und einem fortschreitend bewusst wird, dass wir dem Ende sehr nahe gekommen sind? Woran soll man sich halten, wenn keinem Menschen mehr zu trauen ist und die wachsende Angst die Szene beherrscht, weil es scheinbar keine Perspektive gibt? 

Mein Weg in die Geborgenheit

“Gott ist Liebe!”, lese ich – und versuche, es zu begreifen. “Gott ist vollkommen gerecht!”, sagt die Bibel – und ich komme mir schäbig vor und schäme mich meiner Sünden, weil ich dieser Gerechtigkeit nicht entspreche.  Und doch hat sich diese höchste moralische Instanz, die für mich unerreichbar ist,  herab gebeugt und mich beachtet!  Ich weiß, dass andere Menschen über diese Tatsache auch nur ehrfürchtig staunen konnten und sich unwürdig vorkamen. Aber Gott hat diesen ungeheuren Unterschied dadurch überbrückt, dass er uns durch Jesus als Söhne und Töchter angenommen hat und wir “Vater!” zu ihm sagen dürfen! Und so habe ich Gott finden können. 

Und dieser unbegreifliche, unerforschbare und majestätische Gott wendet sich einem armseligen und sündigen Menschen zu? Ist es eine Anmaßung, wenn ich behaupte, dass Gott in mein Leben getreten ist, weil er sich hat finden lassen? Denn wer bin ich schon? Ich musste lernen, dass Gottes Demut mich und andere groß macht! Das ist die Wahrheit aus dem Psalm 18:36, die auch ich an mir erlebt habe: “Deine Demut machte mich groß!” Demut und Barmherzigkeit Gottes machen Menschen ”groß”, weil er auf der Suche nach Menschen ist, die ihn “mit Geist und Wahrheit anbeten” wollen (Joh. 4:23, 24). Genau das wollte ich auch. Damit begann mein Weg zu Gott, der schließlich in eine Geborgenheit mündete, die ich mir nie hätte vorstellen können. Es ist reine Gnade und kein Verdienst, denn mein Anteil am Glück der Nähe Gottes war nur mein Wunsch; mein schwaches Bemühen, nur der Ausdruck meines Willens und Wollens. 

Was fordert Gott?

Darüber gibt es unterschiedliche Meinungen, die mehr oder weniger dogmatisch klingen und eher die Meinung von Menschen sind, als die Gottes. Aber die Zeit brachte notwendige Einsichten und Erfahrungen. Diese Erfahrungen machten mich bescheidener und reduzierten alles angebliche “Wissen” auf Weniges. Darüber staune ich heute und ich weiß, dass die Wahrheit über Gott so einfach ist, dass man es kaum wahrhaben kann. Zuletzt verdichtete sich alles zu dem, was aus den Worten des Propheten Micha als Antwort auf die Frage zu entnehmen ist, was Gott vom Menschen fordert: 

“O Mensch! Er hat dir mitgeteilt, was gut ist, und was fordert dein Gott von dir zurück, als Güte zu lieben, Recht zu üben und bescheiden mit deinem Gott zu wandeln?“ (Micha 6:8)   

Das steht da, wie in Stein gemeißelt und es wird für alle Zeiten gelten! Gegen diese einfache Forderung Gottes verblasst alles, was viele für wichtig halten! Keine Kirche, keine religiöse Gemeinschaft kann etwas Wichtigeres sagen, als Gott.  Und gerade an dieser göttlichen Forderung scheiden sich die Menschen in Gerechte und Ungerechte. Keine Kirche kann von sich behaupten, der einzige Weg zum Leben mit Gott zu sein. Nein, es ist die Rechtschaffenheit und eben nicht das Bekenntnis, was über den Wandel mit Gott entscheidet. Und wenn ich mich umsehe, dann fällt mir auf, wie wenig oder wie dürftig das beachtet wird.  

Das Rüstzeug dafür hat der Mensch in sich; er hat ein Gewissen, ein inneres Gesetz, das ihn über Gut und Böse belehrt. Und er hat die Macht, sich für das Gute zu entscheiden. Er ist sein eigener Gerichtshof, wenn er “mit Gott wandelt”. 

Um welches Recht geht es hier? Mir wurde klar, dass es allein um Gottes Gerechtigkeit geht; es geht nicht um die menschliche Dimension der Gerechtigkeit, sondern um die göttliche. Ein Satz aus der Bergpredigt blieb in meiner Erinnerung eingebrannt:

“Wenn eure Gerechtigkeit die der Pharisäer nicht weit übertrifft, werdet ihr auf keinen Fall in das Reich eingehen, das der Himmel regiert!” (Mat. 5:20)

So hoch und so streng hat Jesus die Gerechtigkeit Gottes als Erfordernis dafür gesehen, um in Gottes Reich und seine Nähe zu gelangen. Und ich kann viele Aussagen der Bibel dahingehend zusammenfassen, dass Liebe, wie sie Gott fordert, einfach Gerechtigkeit ist! Wer sie nicht sucht, verfehlt sein Ziel im Leben und kann nicht in Gottes Nähe kommen. Der Psalm 15 führt es aus, wenn er die Frage beantwortet, wer in Gottes Nähe kommen darf: 

“Jehowah, wer darf Gast in deinem Zelt sein? Wer darf wohnen auf deinem heiligen Berg? Wer vorbildlich lebt und tut, was recht ist vor dir, wer durch und durch wahrhaftig ist und andere nicht schlecht macht; wer seinem Freund nichts Böses antut und seinen Nachbarn nicht kränkt.” 

Ich glaube, dass es keine Forderung ist, die von mir nicht erfüllt werden könnte. Ich bin dazu ausgerüstet, und wenn ich nicht danach lebe, dann bleibt mir keine Entschuldigung. Durch meine eigene Erfahrung lernte ich, dass Moralität meine Lebensversicherung ist und mich beschützt. Und ohne sie kann ich mich nicht bei Gott geborgen fühlen.

Demut bringt mich Gott näher

Das Buch der Bücher nennt nur einen Weg zu Gottes Nähe: Ein Mensch, der seine Nähe sucht, muss sich demütigen, d. h. ganz klein machen vor dem Allmächtigen. Er muss einsehen, dass er Gott unbedingt braucht, wenn er sinnvoll und wahrhaftig leben will. Also kommt es für mich darauf an, das auch zu tun, was die Bibel rät. Und wenn ich sie als Wahrheit annehme, dann soll sie für mich auch die Wahrheit sein. Sonst müsste ich Jesus über den Mund fahren und sagen: “Du täuschst dich, wenn du sagst, Gottes Wort sei Wahrheit!” Aber das wäre einfach absurd und würde nur bezeugen, dass ich Gott nicht kenne. Aber weil ich ihn kennen darf, will ich das tun, was der Apostel Petrus mir in Gottes Namen geschrieben und empfohlen hat:

“Demütigt euch deshalb unter Gottes mächtige Hand, dann wird er euch zur rechten Zeit erhöhen. Und werft alle eure Sorgen auf ihn, denn er sorgt sich um alles, was euch betrifft.” (1. Pe. 5:6, 7)

Diese Gewissheit lässt Geborgenheit wachsen! Sie lässt Geborgenheit wachsen, wenn ich meine eigene Machtlosigkeit einsehe und mir nicht einbilde, jedes Problem selbst lösen zu können. Mit meinem ganzen Sein muss ich einsehen, dass ich Gott brauche! Ohne ihn bin ich nicht in der Lage, meinen Weg zu gehen (Jer. 10:23, Ps. 127:1). Ich weiß, dass es stimmt, wenn ein Psalm sagt: “Nur bei Gott wird meine Seele still!”

So bin ich unter vielen Heimatlosen zu Hause!

In den Reden Jesu taucht oft der Gedanke auf, dass Gott als Vater für seine Kinder sorgt. Wie geschieht das? Einmal dadurch, dass er uns auf unserem Lebensweg mit seinem guten Geist leitet. Allein schon das Beachten seiner sittlichen Ermahnungen bringt ein Maß an Sicherheit, das Geborgenheit vermittelt. Denn viele Probleme verursachen wir gewöhnlich selbst, weil wir es ‘nicht so genau nehmen’. Da sind die Menschen oft wie unmündige Kinder, die in der Einbildung leben, ihr Lebensschiff allein und “aus dem Bauch heraus“ an das Ziel zu bringen. Und was dabei herauskommt, weiß jeder Vater, der dem Leben seiner Kinder mit Nachdenklichkeit zusieht und sich wundert, wie wenig sie auf die Rechte des Lebens achten, wie oft das Wichtigste, die Liebe, vergessen wird. Und sollte es einmal klar werden, dass die selbst gezimmerte Welt eigentlich kein wohnlicher Ort für das eigentliche Leben ist, dann ist es meist schon zu spät.  

Thomas Wolfe bezeichnete den Satz “Wir müssen versuchen, einander zu lieben” als ‘die letzte, abschließende Weisheit, die die Erde vergönnt’ (Schau heimwärts Engel). Es ist eine große Wahrheit! Und ich habe bei allem Lesen und Forschen keine bessere und höhere Wahrheit gefunden. Auch bei Wolfe kommt der Satz bei den Personen seines Romans zu spät. Zu spät! Dabei ist diese Forderung Gottes nicht neu; sie ist allen bekannt, weil sie ‘im Herzen wohnt’. UNd wenn es zu spät ist, dann wissen die Betroffenen – so hoffe ich – dass sie selbst versagt haben. 

“Wir müssen versuchen, einander zu lieben” ist nur die halbe Wahrheit, denn um wahrhaft zu lieben braucht man mehr als dieses Wissen um die Pflicht zur Liebe, die ja im Gewissen lebt. Dieses Wissen allein reicht nicht. Es muss aus dem Wissen das Handeln werden. Und dazu braucht der Mensch das tiefe Bewusstsein vom liebevollen Wesen Gottes. Er braucht Gottes Nähe, die ihm Verantwortung lehrt, für sich selbst, für den Nächsten und für die Erde. Er braucht Gottes Hilfe und Anleitung, wenn er sich in seinem Leben an Liebe orientieren will; er braucht Gottes Geist, der dem Wollen Leben einhaucht.  

Wenn das geschieht, dann formt Gottes Liebe den Menschen so, dass es seine wahre Natur wird, mit ganzem Sein zu lieben! Es ist ein göttlicher Wille, dass der Mensch mit ihm lebt, damit die Liebe Gottes in ihm zum Ziel kommen kann. Und niemand kann sich ungestraft davon losmachen, denn das nicht gelebte Leben rächt sich am Menschen auf schreckliche Weise, indem es in der Tiefe der menschlichen Seele die innere Leere, die Haltlosigkeit und die Heimatlosigkeit erzeugt.

Die Welt ist voller Flüchtlinge; buchstäblich und sinnbildlich sind Milliarden ohne Heimat. Auch wenn sie einen Platz zum Schlafen haben, auch wenn sie in festen Häusern wohnen, sind sie dort nur zum Schlafen, aber nicht zu Hause und geborgen! In ihren Herzen wohnt  die ewige Sehnsucht nach dem Paradies, und sie irren durch das Leben und hoffen, irgendwie das Glück zu finden. Es geht ihnen wie dem Fliegenden Holländer, der über die Weltmeere irrt und auf Erlösung wartet, damit diese Reise ohne Ziel und Sinn endlich ein Ende haben möge. Für mich hatte diese Reise ein Ende, als ich Gottes Stimme hörte und ihr folgte.

Heimat und Geborgenheit durch Nähe zum Vater

Ich darf dem Höchsten meine Sorgen anvertrauen? So rät es mir das Buch der Bücher. Hat Gott nichts Besseres zu tun, als sich um die kleinen Sorgen eines Menschen zu kümmern? Ist das furchtbare Chaos in der Welt mit Gottes Sorge zu erklären? Ein liebender Gott – und diese Welt? Wie soll das zusammen passen?

Aber wie soll ich die Worte Gottes verstehen? Wenn Gott mein Vater ist, dann ist er es  nicht nur “symbolisch”! Dann füllt das Wort “Vater” alles aus, was zwischen Vater und Kind an Liebe, Zuwendung, Fürsorge und lebendigem Interesse da sein muss! Ich weiß es genau: Mein Vater im Himmel hat mich im Blick und er weiß am besten, was gut für mich ist. Er ist der einzige, der mich wirklich kennt, und seine Liebe und seine Erziehung sollen dazu führen, dass er mich lieben lehrt. Das wünsche ich mir von ihm. Ich fühle mich unter dem Blick meines Vaters und mir geht es ebenso wie dem König David im Psalm 139, der dieses Wunder auch erlebt hat und es nicht recht begreifen konnte. So fühle ich mich immer begleitet und weiß, dass nichts in meinem Leben der Aufmerksamkeit Gottes entgeht. Auch wenn schwierige Zeiten über mich hingehen sollten – und ich weiß, dass sie kommen werden – werde ich immer fühlen, dass ich an der Hand meines Vaters gehe. Und ich darf immer darauf vertrauen, dass mein Leben bei ihm sicher aufgehoben ist und dass seine Liebe nie stirbt!

Der Frieden Gottes

Unter dem Blick des allmächtigen Gottes zu sein erfüllt mich mit Frieden, denn ich weiß nun, dass für mich gesorgt wird. Ich werde ja dazu ermuntert, mich mit allem, was mich berührt, belastet und bedrückt, freimütig an den Vater zu wenden:

“Macht euch keine Sorgen, sondern bringt eure Anliegen im Gebet mit Bitte und Danksagung vor Gott! Und sein Frieden, der alles menschliche Denken weit übersteigt, wird euer Innerstes und eure Gedanken beschützen, denn ihr seid ja mit Jesus Christus verbunden.” (Phil. 4:6, 7)

Welcher Mensch, und mag er mir auch noch so nahe stehen, kann das leisten? Ein lieber Mensch kann mich trösten, er kann mir seine helfende Hand reichen und mir beistehen, aber den alles übertreffenden inneren Frieden kann nur mein Vater geben. Denn er ist es, der mir das Vertrauen einflößt, dass er durch seine Macht alles Belastende und Böse beseitigen wird. Der Frieden Gottes gibt mir Geborgenheit. Er überdeckt alle beunruhigenden Gedanken, lässt Angst verschwinden und macht hoffnungsfroh. Er stärkt mich in der Zuversicht, dass  mein Vater im Himmel für alles eine Lösung weiß und sie für seine Kinder Wirklichkeit werden lässt. Dann kann es dazu kommen, dass man sich wie ein kleines Kind an der Brust seiner Mutter fühlt:

“Jehowah, ich will nicht hoch hinaus, ich schaue auch auf niemand herab. Ich gehe nicht mit Dingen um, die mir zu groß und wunderbar sind. Nein, ich habe mich beruhigt, habe meine Seele besänftigt. Wie ein gestilltes Kind bei seiner Mutter, wie ein zufriedenes Kind  bin ich geworden.” (Ps. 131)

Ich möchte noch einmal auf das Wort zurückkommen, wo es heißt, dass der Frieden Gottes alles menschliche Denken übersteigt und das Bewusstsein und die Denkkraft beschützt. Damit wird das Versprechen Jesu eingelöst, das er seinen Aposteln während des letzten Passahs gab: 

“Was ich euch hinterlasse, ist mein Frieden. Ich gebe euch einen Frieden, wie die Welt ihn nicht geben kann. „Lasst euch nicht in Verwirrung bringen, habt keine Angst.” (Joh. 14:27)

Ich kann nur unzureichend beschreiben, wie sich dieser Frieden anfühlt. Es ist wie nach einer anstrengenden, entbehrungsreichen Reise, wenn man wieder in der Heimat und zu Hause ist und alle Lasten und Sorgen und Ängste von einem abfallen. Der innere Frieden wird zu einem gewaltigen Strom, der ruhig, gelassen und majestätisch dahin fließt. Ich bin in Gottes Liebe zu Hause und ich strebe danach, mit Gott in Harmonie zu leben. Ich darf ihm vertrauen, für alle Zeiten vertrauen! 

Durch die Nähe zu Gott und seinem Sohn Jesus Christus bin ich auch für die Interessen der gottfeindlichen Welt gestorben; ich habe mit den Zielen und Konflikten dieser Welt nichts mehr zu tun. Ich habe den Einflussbereich satanischer Gedanken zwar nicht verlassen (denn ich lebe ja in dieser Welt), aber durch den Schutz meines Bewusstseins bin ich davor bewahrt, mir diese Gedanken zu eigen zu machen. Ich lasse mich nicht auf andere Menschen hetzen und zu Gewalt anstacheln und in Bezug auf meine Glaubensüberzeugung in Verwirrung bringen. Ich bin beschützt und habe das alles hinter mich gelassen. Und so soll es bleiben!

Die Hoffnung Gottes

Ein anderer Schatz aus dem Geborgenheit wächst, ist die Hoffnung, die in der Bibel als Pfand, als fester Anker, als Gewissheit und Versprechen Gottes gesehen wird. Und die Hoffnung, die Gott gibt, verspricht mir, dass Gott Herr der Geschichte ist und sein Reich alle anderen Reiche dieser Welt zu Staub werden lassen wird. “Ich mache alle Dinge neu!”, sagt er auch zu mir! Darauf vertraue ich, weil ich Gott so weit erkennen durfte, dass ein Zweifel an seinem Wort nicht mehr möglich ist. Diese von Gott garantierte Hoffnung tröstet mich und hilft mir über viele schlimme Dinge hinweg. Sie hilft mir auch zu verstehen, warum die Welt so ist, wie sie ist. Die Bibel enthält viele Voraussagen, die sich erfüllt haben. Ganz gegen die optimistischen Vorstellungen der Menschheit vom Glück für alle in der Zukunft, hat sich immer wieder die Bibel erfüllt, wenn sie sagt, dass die Gottlosen niemals Frieden haben werden und dass sie genau das ernten werden, was sie gesät haben. Es hat sich erfüllt! Auch wenn es eigentlich schrecklich ist, feststellen zu müssen, dass die Menschheit uneinsichtig ist und vom Schlimmen zum Schlimmeren tendiert, ist es für mich überwältigend, wenn ich sehe, dass Gott Recht behalten hat. Gerade das stärkt mein Vertrauen und meine Hoffnung.

Wenn ich Jesu Abschiedsrede lese (Johannes 13 – 17), dann weiß ich, dass für alles gesorgt ist. Da muss ich nicht ängstlich und verunsichert sein, da kann ich darauf bauen, dass Vertrauen und Ruhigsein mich beschützen werden. Ich möchte zwei Texte aus dem Propheten Jesaja zitieren, weil sie mir wertvoll geworden sind:

“Durch Umkehr und Ruhe werdet ihr befreit, im Stillsein und im Vertrauen liegt eure ganze Kraft.” (Jes. 30:15)

“Schau nicht ängstlich nach Hilfe aus, denn ich, dein Gott, stehe dir bei. Hab keine Angst, denn ich bin dein Gott! Ich mache dich stark und helfe dir! Ich halte dich mit meiner rechten und gerechten Hand.” (Jes. 41:10)

Ich bin alt geworden und erfahre, dass sich  die Worte des Predigers Salomo auch an mir bewahrheiten (Pred. 12:1). Aber auch dieses Altwerden und das schließliche Sterben nehme ich im Vertrauen auf Gott klaglos hin, denn ich weiß, dass ich auch “im Tod geborgen” bin (Spr. 14:32). Jeden Tag muss ich mich erneut darum bemühen, meine Orientierung nicht zu verlieren. Und jeden Tag erfahre ich die Hilfe meines himmlischen Vaters neu und weiß: Ich bin in seinen Händen geborgen!

Asche und Staub

Jesus: “Ja, ich versichere euch: Wer auf meine Botschaft hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben.  Auf ihn kommt keine Verurteilung mehr zu; er hat den Schritt vom Tod zum Leben schon hinter sich.” Johannes 5:21, 22

Weil ich das richtige Leben liebe, denke ich über den Tod nach.

Ich stehe nun am Strom der Zeit und warte auf den Fährmann. Ich sehe sein Boot noch nicht, aber ich weiß bestimmt, dass er kommt. Er wird mich nicht verfehlen und mich an das jenseitige Ufer bringen. Zwischen Hoffnung und Zuversicht mischt sich ein Gefühl, das man im Herbst des Lebens hat: Es ist leises Abschiednehmen und wehmütiges Zurückschauen, an das mich ein Gedicht  erinnert:

Wenn im Herbst die Nebel fallen

Und man zwischen Gräbern geht,

Werden Regentropfen Tränen,

Tränen, die der Wind verweht.

Denn das gern gelebte Leben –

wie ein Traum schwebt es dahin.

Leben, das ist Abschiednehmen!

Und ich weiß nicht, wer ich bin.

Und während ich gedankenverloren über den breiten Strom schaue und das andere Ufer sehe, habe ich noch Zeit, um nachzudenken. In Gedanken besuche ich alte Friedhöfe, was ich immer gern gemacht habe. Wer Friedhöfe besucht, will sich ganz bewusst an die eigene Vergänglichkeit erinnern; er will sich das ins Bewusstsein rufen und wahrnehmen, woran mich ein russisch-orthodoxer Diakon auf dem Friedhof neben der griechischen Kapelle auf dem Wiesbadener Neroberg  erinnern wollte, als er mir beim Abschied überdeutlich sagte: “Wir sind nur Staub und Asche!”. Ich hatte nach dem Grund gefragt, warum es keinen Blumenschmuck auf den Gräbern gab.

Es war Herbst, als ich am verschlossenen Gitter des Friedhofs stand. Ich sah einen Diakon dort arbeiten und fragte ihn, ob ich den Friedhof besuchen dürfte. Zuerst zögerte er, doch dann kam er zum Tor und schloss es auf. Ich ging langsam durch die Grabreihen und las die Namen hochgestellter Persönlichkeiten mit ihren pompösen Titeln aus allen Bereichen des russischen Lebens vor der Oktoberrevolution.  Welch einen Glanz haben sie repräsentiert, als sie noch im Zarenreich lebten und sich in Wiesbaden vergnügten! Jetzt waren sie schon lange vermodert und Unkraut wuchs zwischen und auf den Gräbern. Es wurden hier auch viele Exilanten bestattet, Strandgut einer bösen Zeit, als sie nicht mehr in Russland bleiben konnten. Am Grab  von Alexej v. Jawlensky bleibe ich länger stehen und sehe vor mir die farbstarken, eindrucksvollen Bilder dieses expressionistischen Malers, der 1941 nach einem chaotischen Leben in Wiesbaden  gestorben ist. Alles vorbei! Wir sind Staub und Asche!

Ich muss an das Gebet Moses im Psalm 90 denken, das die Flüchtigkeit des Menschen beschreibt:

“Du schwemmst sie hinweg, es ist wie ein Schlaf, und am Morgen sprießen sie auf wie das Gras. Am Morgen blüht und wächst es auf, am Abend ist es welk und verdorrt.” 

Die sehr alten Buchen auf dem Neroberg hatten sonnengelbes Herbstlaub und die dicken Stämme schimmerten wie alte, mit Grünspan überzogene Bronzesäulen. Diese alten Bäume schienen vom Vergehen der Zeit unbeeindruckt zu sein. Rundherum spielte die Herbstsinfonie des Lebens, und die todesmatten, goldgelben Blätter fielen langsam zu Boden. “Wie Blätter fallen wir langsam vom Baum des Lebens herab!”.  Mit diesem Gedanken ging ich zu meiner kleinen Frau, die im Restaurant auf mich wartete. Ich blicke noch einmal zurück und sehe die goldene Kuppel der griechischen Kapelle vor dem stahlblauen Himmel zwischen den herbstlichen Bäumen durchschimmern.

Wieder denke ich an das Gebet Moses: “Dein Zorn lässt unsre Tage verrinnen, lässt unsere Jahre wie ein Seufzer vergehen. Unser Leben dauert nur siebzig Jahre, achtzig, wenn es voll Kraft war. Und das meiste davon war Mühe und Last. Schnell geht es vorbei, und schon fliegt es davon. Wer kennt denn die Macht deines furchtbaren Zorns, wer nimmt sich das wirklich zu Herzen?” 

Die Juden beteten und sangen den Psalm 90 und dachten dabei an sich. Wie viele haben es ernst gemeint bei den Worten: “Kehre zurück, Jehowah! Wie lange dauert es noch? Hab doch Erbarmen mit uns, deinen Dienern. Mache uns schon am Morgen mit deiner Gnade satt, dann sind unsere Tage von Freude und Jubel erfüllt.” Und wer es ernst meinte, hat auch diese Bitte mit aller Aufrichtigkeit des Herzens gesprochen und dabei die Tragik des eigenen Lebens empfunden: “So lehre uns doch unsere Tage zu zählen, damit Weisheit in unser Herz einzieht.” 

Der alte jüdische Friedhof in der Prager Josefstadt kommt mir in den Sinn. Hier wurden bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts  schätzungsweise  60 Tausend Menschen auf engstem Raum und in mehreren Schichten übereinander begraben. 12000 Grabsteine stehen dicht an dicht, schief, halb eingesunken in die Erde, aneinander gelehnt. Kein Blumenschmuck ist zu sehen. Es ist wieder Herbst und die Blätter lösen sich und sinken sacht auf die Gräber herab. 

“Haus des Lebens” hieß dieser Friedhof – “Beth chaim”. Allgemein wurde er “Der gute Ort” genannt, denn die Juden glaubten an eine “Auferstehung am letzten Tage”. Dieser gute Ort bedeutet für sie Erlösung, denn es gab endlich Ruhe für geschundene Seelen. Ich kann nur erahnen, welche Tragödien unter den Grabsteinen begraben worden sind. Viele sind durch die ganze Welt gejagt worden, waren  nirgendwo zu Hause, fanden kaum Zuflucht und verschwanden beinahe spurlos. Sie haben Progrome und Entrechtungen erlitten, haben Hass, Verfolgung und Ablehnung erfahren und hofften nach all diesen Qualen auf die Ruhe im “guten Ort” und auf die Auferstehung.

Im Judentum gibt es den Spruch, dass, wenn ein Mensch stirbt, eine ganze Welt gestorben ist. Mir gefällt diese Weisheit, denn sie bringt etwas zum Ausdruck, was heute beinahe vergessen ist: Jeder Mensch ist einmalig! Und sein Bewusstsein ist so gewaltig, dass die mögliche Zahl seiner Bewusstseinszustände die Zahl der Atome im Universum übersteigen kann. Was kann ein Mensch alles denken und fühlen? Ein Kosmos im Kopf, im Guten wie im Bösen! 

Wie viel Lachen und Leid, wie viel Liebe und Hass, welcher Strom von Tränen, wie viel Lebensfreude und Kummer sind hier begraben worden? Und mit diesen Menschen wurden ganze Welten mit allen guten und bösen Taten begraben. Welche Hoffnungen starben mit ihnen und wie viele Enttäuschungen bedeckte dieser Boden? Und nichts ist geblieben, als ein paar graue verwitterte Steine mit verwischten Namen, an die sich heute niemand mehr erinnert. 

“Es ist besser, in das Haus der Trauer zu gehen, als zu einem Festmahl. Denn das macht das Herz besser.”  So drückt es der Kohelet Salomo aus. Und was machen diese Worte mit mir? Macht diese Mahnung mich besser? Wenn ich über vierzig Jahre zurückblicke, kann ich an meinen Tagebüchern feststellen, dass mich der Tod schon immer beschäftigt hat. Dadurch ist mir vieles, was ich früher wichtig nahm, mit der Zeit unbedeutend und nichtig geworden. Meine typische Altersgeste ist das Abwinken mit der Hand. Das soll heißen: “Nimm es nicht so wichtig, wie es daherkommt!” Was macht der Mensch für ein Geschrei um sein Dasein, wie bläst er sich auf und nimmt sich wichtig! Und doch  nützt es nichts. Ich muss hier an Jakobus denken, der denen, die auf sich selbst vertrauen und meinen, alles erreichen zu können und jeden Tag einen neuen Höhepunkt zu erleben, dies sagte: 

“Nun zu euch, die ihr sagt: ‘Heute oder morgen wollen wir in die und die Stadt ziehen. Wir werden ein Jahr dort bleiben, Geschäfte machen und Geld verdienen’. Und ihr wisst doch nicht einmal, was morgen sein wird. Was ist denn euer Leben? Nur ein Dampf, der kurze Zeit sichtbar ist und dann verschwindet.” (Jak. 4:13, 14) 

Das will ich mir zu Herzen nehmen, wenn ich an meine Vergänglichkeit denke und über Friedhöfe gehe. Jakobus schrieb: “Fühlt euer Elend, trauert und weint! Euer Lachen soll sich in Trauer verwandeln und eure Freude in Kummer”. Und ich fühle mein Elend, das in der Tatsache begründet ist, dass ich ein Sünder bin, ein Sünder, der Barmherzigkeit braucht. Ich bin, wie alle anderen auch, der Nichtigkeit ausgeliefert und wünsche nichts sehnlicher, als mit Gott in Frieden zu leben. Darum will ich mich unter die mächtige Hand Gottes beugen und lernen, ‘meine Tage zu zählen’, damit das ‘Herz besser’ wird. — So ungefähr sind meine Wünsche, wenn ich auf Friedhöfen spazieren gehe und die Wahrzeichen der Vergänglichkeit betrachte. Es macht das Herz besser! 

Noch stehe ich am Ufer und kann ‘Weisheit in mein Herz‘ einziehen lassen, während ich  auf den Fährmann warte. Ich habe beschlossen, keine Furcht zu haben, wenn er kommt und mich einlädt, ins Boot zu steigen. Er wird mir die Hand reichen und beim Einsteigen helfen. Und während ich einsteige, will ich wissen, dass er mich auf die andere Seite des Flusses bringt. Kein Geringerer als Jesus hat das ewige Leben verheißen! Er löst ein, was unser Vater im Himmel von Anfang an gesagt hat: “Der Gerechte wird durch Glauben leben!” Ich fühle mich nicht als Gerechter, aber wir werden so gesehen, wenn wir der Botschaft Jesu vertrauen und danach streben, so zu leben, wie Gott es wünscht.

Ich blicke auf mein Leben zurück und sehe meine kleinen Freuden, meine Kämpfe, meine Niederlagen, meine Sünden. Und ich sehe mein größtes Glück, weil  ich Gott gefunden habe und eine Geborgenheit fühle, die ich mir früher nicht vorstellen konnte. Diese Geborgenheit unter der “mächtigen Hand Gottes” schenkt mir Frieden und Gelassenheit, denn ich weiß, dass für  mich gesorgt wird! Alle Sorgen, die ich mir machen könnte, verblassen, denn ich weiß, dass auch ich einen Platz zu Füßen Gottes gefunden habe, weil ich Frieden mit ihm geschlossen habe. Darum blicke ich versöhnlich und ohne Groll zurück; ich habe allen Menschen vergeben und wünsche mir für alle, die es wollen, ebenfalls den tiefen Frieden mit Gott.

Mit dieser Position kann ich ruhig abwarten und sehen, was noch alles geschehen kann. Es wird nichts Neues geben, dafür aber von allem Übel bis zum Übermaß genug. Zu bedauern ist jeder, der von seiner Zukunftsangst in die Verzweiflung oder in den Wahnsinn getrieben wird.  Diese Welt bietet für die Menschen keinen Platz, die tatsächlich als Menschen leben wollen, nämlich unter Frieden, Gerechtigkeit und in Harmonie mit Gott. Der einzige Platz für sie ist tatsächlich unter “Gottes mächtiger Hand” (1. Pe. 5:6, 7; Phil. 4:6, 7) Nur von dort können sie dem Untergang zuschauen und auf Gottes Reich warten.

Am jenseitigen Ufer sehe ich schon den neuen Anfang meines Lebens oder die Fortsetzung desselben nach der Auferstehung. Es ist die Erfüllung meiner Hoffnung, die mit der Zeit  zur Gewissheit geworden ist. Jenseits des Flusses sehe ich am Horizont das messianische Morgenrot aufleuchten. Und ich weiß: Das Reich Gottes erwartet mich! Da wird mein Herz weit und Freude zieht ein. Ich juble meinem Vater im Himmel zu und bin nur noch dankbar, weil er so gut zu seinen Kindern ist! “Aus allen Drangsalen  rettet er dich!”, heißt es in den Psalmen. Und fast am Schluss der Bibel stehen die Worte Gottes: “Siehe! Ich mache alles neu!” Welch ein gewaltiger Trost!

Sei bereit zu leiden

“Wovor mir Angst war, das hat mich getroffen, wovor mir graute, das kam über mich.

Hatte ich nicht Frieden, nicht Ruhe, nicht Rast? Und dann kam das Toben.

Welche Kraft hätte ich, noch zu hoffen, was ist das Ziel, für das ich durchhalten soll?”

(Hiob 3:25, 26; 6:11)


Wie stehe ich zu Prüfungen? Ich habe versucht, mir die Frage Hiobs zu beantworten: “Was ist das Ziel, für das ich durchhalten soll?” Dass es für mich mitunter schwierig ist, mit dem Leben fertig zu werden, habe ich schon angedeutet. Und weil ich es so empfinde, habe ich eine gewisse Scheu davor, mich detailliert mit der Frage Hiobs auseinanderzusetzen. Man ist ja geneigt, nicht zu sehr an unangenehmen Dinge, wie Verfolgung oder Misshandlung zu denken, aber einmal muss es sein.

In den Reden Jesu an seine Jünger taucht immer wieder der Gedanke auf, dass sie bereit sein müssen, ihren “Marterpfahl” auf sich zu nehmen. Damit wollte er deutlich machen, dass der Lebensweg eines Christen von Erprobungen gekennzeichnet ist. Bis zum Ende der Bibel wird immer wieder gefordert, dass sich Kinder Gottes als treu bis in den Tod erweisen müssen (Off. 2:7, 11, 17, 26; 3:5, 12, 21). Eine anschauliche Schilderung der möglichen Leiden gibt der Apostel Paulus im Brief an die Hebräer im Kapitel 11. Alle Glaubensmenschen wurden erprobt und mussten ihr Vertrauen auf Gott unter Beweis stellen. Auch die Apostel haben durch ihr Leben gezeigt, was das bedeuten kann. Da stehe ich auch vor der Frage: Bin ich dazu bereit, treu bis in den Tod zu bleiben?

Mit meinen Wünschen und guten Vorsätzen bin ich bereit zu leiden. Aber leicht nimmt man den Mund zu voll, und dann geht es einem wie Petrus, der auch spontan zu Jesus sagte, dass er bereit sei, sogar mit ihm in den Tod zu gehen. Da Jesus seinen Apostel gut kannte, prophezeite er den Verrat, und – tatsächlich – Petrus leugnete kurz darauf, Jesus zu kennen. Als ihm das bewusst geworden war, “weinte er bitterlich”. Daran muss ich denken, wenn ich mir vornehme, meinem Gott und meinem Vater immer treu zu bleiben. Wie gut kannte Petrus sich selbst? Und wie gut kenne ich mich? Petrus hat nach seinem Versagen erfahren, was seine Schwäche war und was ihn zu Fall brachte: Es war die Menschenfurcht. Hätte er das ohne eine Erprobung so deutlich erfahren? Durch seine Niederlage wurde der Fokus auf seine Schwäche gelenkt und so hat er erfahren, “was in seinem Herzen war” und danach konnte er sich für künftige Krisen wappnen.

Das erinnert mich an Israeliten auf ihrer 40ig-jährigen Wanderung durch die Wildnis Sinai. Immer wieder standen sie vor bedrohlichen Situationen und mussten sich bewähren, mussten zeigen, was in ihrem Herzen war:

“Du sollst immer daran denken, wie Jehowah dich diese vierzig Jahre lang in der Wüste umherziehen ließ, um dich demütig zu machen und dich auf die Probe zu stellen. Er wollte deine Gesinnung erkennen und sehen, ob du seine Gebote halten würdest oder nicht.” (5. Mose 8:2)

Wer den Bericht über diese Wanderung liest, stellt immer wieder fest, dass es den meisten Juden an Glauben oder Vertrauen mangelte. Am Ende wurde es offenbar: Die meisten “kehrten in ihrem Herzen nach Ägypten zurück”. Sie waren für die Befreiung und das verheißene Land nicht dankbar. Sie haben die Probe nicht bestanden und eine ganze Generation hat das verheißene Land nicht erreicht. Aus ihrer kollektiven Erfahrung kristallisierte sich der Satz: “Der Gerechte wird durch Glauben gerettet!” Und Glauben bedeutet eigentlich Vertrauen auf Gott, bedingungsloses Vertrauen ohne jede Einschränkung.

Aber warum werden die Kinder Gottes geprüft?

Der himmlische Vater weiß doch alles (siehe Psalm 139). Warum sollte er mich auf die Probe stellen? Weiß Gott wirklich alles? Da der Mensch die Freiheit der Entscheidungen hat, kann Gott nicht im Voraus wissen, wie ein Mensch sich entscheiden wird. Wollte er es wissen, dann wäre der Mensch in seiner Entscheidung nicht mehr frei. Er müsste dann so handeln, wie Gott es voraus gesehen hat. Neben diesem Problem gibt es noch ein anderes, auf das der Teufel uns aufmerksam macht: Im Fall “Hiob” unterstellt der Satan dem Menschen, der Gott dient, nur Selbstsucht, weil er dadurch Vorteile hat. Satan unterstellt Gott und den Menschen, einen für beide Seiten vorteilhaften “Handel” abzuschließen: Gott kaufe sich die Liebe der Menschen und Menschen verkaufen sie an Gott, um gewisser Vorteile willen. Aber ist käufliche Liebe dann noch Liebe? Die Käuflichkeit widerspricht dem Wesen der Liebe (agape), denn sie ist durch und durch uneigennützig! Die Liebe ist treu, treu zu Gott und seinem Gesetz.

Hiob und seine Ankläger

Lese ich im Buch “Hiob”, dann sehe ich, dass Hiob schrecklich gelitten hat! Und er weiß, dass Gott seiner Qual zusieht. Der arme Mensch versteht das nicht. Warum kann Gott zusehen, wie sein Kind leidet? Welcher Sinn liegt darin?Seine Bekannten versuchen eine “Erklärung” und unterstellen Hiob, dass er wegen verborgener Sünden leiden muss. Sie lassen von diesem Vorwurf nicht ab, so oft Hiob auch ihre schiefen Argumente widerlegt. Aus den Reden der drei Ankläger entnimmt man, woher sie u. a. ihre Weisheiten hatten. Im Zentrum steht eine freche, verleumderische Anklage gegen Gott. Einer von ihnen sagte:

“Ein kalter Hauch berührte mein Gesicht, die Haare standen mir zu Berge. Da stand er, den ich nicht kannte. Vor meinen Augen war eine Gestalt, und ich hörte ein Flüstern:

“Kann ein Mensch gerecht sein vor Gott, ein Mann vor seinem Schöpfer rein? Selbst seinen Dienern traut er nicht, wirft auch seinen Engeln Irrtum vor; wie viel mehr dann den Geschöpfen aus Lehm, die aus dem Staub hervorgegangen sind, die man wie Motten zerdrückt, die man von Morgen bis Abend erschlägt? Unbeachtet gehen sie für immer dahin. Gott bricht ihre Zelte ab, sie sterben und wissen nicht einmal wie.”” (Hiob 4:15-21)

Steht Gott tatsächlich so zu den Menschen? Wenn der böse Geist Recht hätte, dann lohnte es sich nicht, an Gott zu glauben, dann wäre man nur der Willkür ausgeliefert und Gott hätte nichts, auch gar nichts mit Liebe, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zu tun! Denn im Prinzip sagt der Böse ja, dass Gott die Menschen nicht liebe, denn er sei ein misstrauischer und rachsüchtiger Gott.

Aber der arme Hiob hat in seinem Leben eine ganz andere Erfahrung mit Gott gemacht. Und was seine Besucher ihm vorwerfen, ist keine Erklärung für sein Leiden, sondern eher eine Verhöhnung Gottes und der Leiden Hiobs.

Hiob war weder käuflich noch erpressbar!

Und sie behaupten weiter, dass es einem Gerechten gut geht, solange er Gott gehorcht. Sie schlussfolgern also, dass Gott gute Taten unbedingt belohnt. Dabei vergessen sie, dass Hiob ein grundsatztreuer Mensch ist. Gerechtes Handeln ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Dabei denkt er nicht an Belohnung oder Ehre. Er tut es, weil er es so für richtig hält! Er handelt nicht gerecht, weil er belohnt werden will. Mit dieser festen Haltung steht er im krassen Gegensatz zum Teufel, der ja das Gegenteil behauptet hatte. Und weil sich Hiob nicht auf diese Vorwürfe einlässt, beweist er, dass er nicht käuflich ist! Genau das Gegenteil hatte der Teufel im Gespräch mit Gott behauptet: “Ist Hiob etwa umsonst so gottesfürchtig? Du beschützt ihn doch von allen Seiten, sein Haus und alles, was er hat! … Versuch es doch einmal und lass ihn alles verlieren, was er hat! Ob er dir dann nicht ins Angesicht flucht? … Haut um Haut! Alles, was der Mensch hat, gibt er um sein Leben.” (Hiob 1:10, 11; 2:4) Diese letzte Behauptung mag auf die meisten Menschen zutreffen, denn immer wieder zeigen sie ja, dass die Angst vor dem Tod sie sogar zu den unmenschlichsten Taten pressen kann. Aber auf Christen darf das nicht zutreffen! Sie würden sonst ihre gerechten Grundsätze verkaufen und verleugnen.

Und dabei frage ich mich, ob ich auch so fest wie Hiob wäre, wenn ich den Verlust von allem Materiellen, meiner Kinder und meiner Gesundheit hinnehmen müsste? Wäre ich durch Todesangst erpressbar? Wie ich schon angedeutet habe, ist man in der Theorie immer gut, aber in der Praxis kann sich ein anderes Bild ergeben. Wenn ich aber genau wissen will, wer ich wirklich bin, muss ich entsprechende Prüfungen bestehen. Dann erst offenbart sich, was in meinem Herzen ist und wie fest mein Vertrauen auf Gott ist. Und erst dann weiß ich mit dem Herzen, wo meine Schwächen sind. Dann erst wird deutlich, was Gott für mich ist.

“Mein Gott! Mein Gott! Warum hast du mich verlassen?”

Auch Jesus war nicht käuflich! Er hat in seinem Sterben eine Prüfung bestanden, die an seiner grundsätzlichen Treue zu seinem Gott keinen Zweifel mehr zulässt. Seine Prüfung war so schwer, dass er sogar darum bat, sie nicht bestehen zu müssen. Aber er hat das nicht gefordert, sondern betont, dass allein Gottes Wille geschehen sollte. Und so kam es auch: Er hatte furchtbare Angst und schwitzte Blut und Wasser. In seiner schwersten Stunde kamen Engel und stärkten ihn. Trotzdem musste er ganz allein und für alle sichtbar beweisen, dass er bedingungslos an seinen Vater glaubte. Es kam auch soweit, dass er den Psalm 22 zitierte und rief: “Mein Gott! Mein Gott! Warum hast du mich verlassen?” Ich kann mir das jetzt nicht vorstellen, wenn ich in derselben Lage wäre. Ich würde wohl den Verstand verlieren, wenn ich das Gefühl haben müsste, von Gott verlassen worden zu sein. Aber Jesus war in dieser schrecklichen Einsamkeit! Ich kann daraus nur schlussfolgern, dass er seinem Vater auch dann treu sein wollte, wenn er seine helfende Hand und seinen direkten Trost nicht hatte. So wollte er dem Widersacher Gottes und der ganzen Schöpfung zeigen, was ein Glaube vermag, der nicht durch die Erpressung mit Todesfurcht erschüttert werden kann. Interessant war für mich dann auch noch die Bemerkung des Apostels Paulus:

“Weil Gott viele Menschen als seine Kinder in die Herrlichkeit führen wollte, hat er den Wegbereiter ihrer Rettung durch Leiden vollkommen gemacht.“ … Als Jesus noch hier auf der Erde lebte, hat er unter Tränen und mit lautem Schreien gebetet und zu dem gefleht, der ihn aus der Gewalt des Todes retten konnte. Und wegen seiner ehrerbietigen Scheu vor Gott wurde er auch erhört. Obwohl er Gottes Sohn war, hat er an dem, was er durchmachen musste gelernt, was Gehorsam bedeutet.” (Heb. 2:10; 5:7, 8)

Auch Christen werden durch Leiden vollkommen gemacht – und erzogen!

In seiner Botschaft an die Versammlung Smyrna sagt Jesus: “Es werden noch manche Leiden auf dich zukommen. Der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis bringen, um euch auf die Probe zu stellen, und ihr werdet zehn Tage lang Schweres durchmachen. Hab keine Angst davor und bleibe mir treu, selbst wenn es dich das Leben kostet. Dann werde ich dir als Ehrenkranz das ewige Leben geben. ” (Off. 2:10)

Immer wieder sagt Jesus, dass man als sein Nachfolger leiden muss, aber dabei keine Angst haben sollte, weil man nicht allein gelassen wird. Da spielt es keine besondere Rolle, ob es Verfolgung durch Feinde ist, oder nur das allgemeine Leben mit seinen Problemen und Krankheiten. Das alles muss ein Christ und Kind Gottes in dieser Welt als Prüfung seines Glaubens sehen. Aber es geht dabei nicht nur um Glaubensprüfungen, sondern auch um eine Erziehung zur Gerechtigkeit Gottes! Der Allmächtige hat seine Kinder einem Erzieher anvertraut; Jesus ist unser Erzieher geworden.

“Habt ihr denn ganz vergessen, was Gott zu seinen Kindern sagt: ‘Mein Sohn, missachte nicht die strenge Hand des Herrn, werde nicht mutlos, wenn er dich zurechtweist. Denn es ist doch so: Wen der Herr liebt, den erzieht er streng, und wen er als Sohn annimmt, dem gibt er auch Schläge.’ Was ihr ertragen müsst, dient eurer Erziehung. Gott behandelt euch so, wie ein Vater seine Söhne.” (Heb. 12:5-7)

Alles, ob Prüfung oder Erziehung, geschieht unter dem Blick des Himmels und dient einem hohen Ziel! Kein Schmerz, kein Leid, keine Angst und keine Verzweiflung bleibt unbemerkt! Wir können nur hoffen, nicht allein gelassen zu werden, können nur hoffen, zur richtigen Zeit auch die Kraft, Einsicht und Stärke zu bekommen, damit wir den Kampf bestehen. Und hier kommt es darauf an, der Zusicherung Gottes und seines Sohnes wirklich zu vertrauen. Ich finde es sehr wichtig, zu wissen, dass ich unter dem Blick Gottes bin! Er ist Zeuge meines Leidens, meiner Treue, meiner Liebe zu ihm! Und ich bin mir ganz sicher, dass ich wie Hiob sagen will:

“Ich weiß, dass mein Erlöser lebt! Er steht am Schluss über dem Tod. Nachdem man meine Haut so sehr zerschunden hat, werde ich auch ohne mein Fleisch Gott schauen. Ich selbst werde ihn sehen, ja , meine Augen schauen ihn, er wird kein Fremder für mich sein. Ich sehne mich von Herzen danach!“ (Hiob 19:25-27)

Es ist bemerkenswert, dass hier ein Mensch, der meinte, von Gott verfolgt worden zu sein, so denkt! Hat er geahnt, dass er sich irren könnte? Er hat Gott falsch gesehen, denn die Ursache seines Leidens war ja nicht Gott, sondern der Teufel. Er verstand seinen Gott nicht und musste lernen, dass man Gott unter allen Umständen vertrauen darf, auch wenn man nicht immer alles versteht! Vertrauen steht weit über Verstehen, wenn es um Gottes Liebe und um seine Gedanken geht. Gott muss mir nicht alles haarklein erklären. Er darf verlangen, dass ich davon überzeugt bin, dass seine Liebe zu mir genau das veranlassen wird, was für mich gut ist. Auch wenn ich durch die “Wildnis Sinai” ziehen muss, sind Gott und Jesus bei mir und werden mich zum Ziel führen. Aber ich muss auch unter Prüfungen beweisen, dass ich mich in meinem Vertrauen auf Gott nicht erschüttern lassen werde. Denn am Ende läuft es auf das hinaus, was Petrus geschrieben hat:

“Und weil ihr an ihn glaubt, wird Gott euch durch seine Macht für die Rettung bewahren, die schon bereit liegt, um dann in der letzten Zeit offenbar zu werden. Deshalb jubelt ihr voller Freude, obwohl ihr jetzt für eine Weile den unterschiedlichsten Prüfungen ausgesetzt seid und manches Schwere durchmacht. Doch dadurch soll sich euer Glaube bewähren und es wird sich zeigen, dass er wertvoller ist als das vergängliche Gold, das ja auch durch Feuer geprüft wird. Denn wenn Christus sich offenbart, wird auch die Echtheit eures Glaubens sichtbar werden und euch Lob, Ehre und Herrlichkeit einbringen.” (1. Pe. 1:5-7)

„Glauben kann man nur allein!“

Das war die knappe Einsicht von Leo Tolstoi, nachdem er mit fünfzig Jahren begonnen hatte, Gott zu suchen. Bis zu seinem fünfzigsten Jahr war er Atheist, dann kam ihm der Verdacht, dass es damit nicht getan sein konnte. Depressionen bedrohten sein Leben, als ihm die Sinnlosigkeit desselben ins Bewusstsein gedrungen war. Gewohnt, als Graf zu befehlen, schrieb er in sein Tagebuch an Gott gerichtet: “Gib mir Glauben!” Aber danach geschah nichts auffälliges. Er fing an, Gott zu suchen, und Gott ließ sich Zeit! Wo er Gott suchte, fand er ihn nicht. Weder in seiner Kirche noch in der Welt. Er fand ihn überall dort nicht, wo andere behaupteten, dass er hier oder dort zu finden sei. Als er fast achtzig Jahre alt geworden war, fand er Gott: Er fand ihn in sich selbst, weil Gott sich erst nach einer langen Lehrzeit des Lebens von Tolstoi finden ließ.

Dann stellte er fest: “Glauben kann man nur allein!” Damit wollte der Dichter sagen, dass der Glaube eine Angelegenheit des inneren Menschen ist, die sich nur im Menschen selbst abspielt. Es ist bemerkenswert, dass er diese Erfahrung machen durfte, nachdem er die Bibel aufmerksam gelesen hatte und begonnen hatte, die Ideale des Christentums in die Praxis umzusetzen. Seine Versuche einer christlichen Gesellschaftsreform waren naiv und mussten scheitern. Aber sie lehrten ihn, dass Glauben eine reine Privatsache ist. Er musste einsehen, dass Glaube sich zwischen dem Menschen und seinem Gott entfaltet, dass Glaube auf der eigenen Wahrnehmung Gottes beruht. Erst diese persönliche Wahrnehmung der  Nähe zu Gott macht einen gläubigen Menschen aus, der danach ein tiefes Vertrauen und eine große Liebe zu seinem Vater im Himmel entwickeln kann. Diese Wahrnehmung lässt sich nicht vermitteln. Man kann nicht sagen:“Glaube!“ und damit reicht es. Man kann auch nicht sagen, dass viel eigene Arbeit zum Glauben und zur Liebe führt. Und nur wenn Gott will, und Glauben und Liebe durch seinen Geist wachsen lässt, kann  ein Mensch glauben.

Jesus hat in einem Nachtgespräch mit Nikodemus diese Tatsache angesprochen (Joh. 3:1-21). Er sagte zu Nikodemus: „Ich versichere dir, wenn jemand nicht von neuem geboren wird,kann er das Reich Gottes nicht einmal sehen.“ Nikodemus ist erstaunt und fragt, wie es möglich sein könne, dass ein Mensch noch einmal geboren werden kann. Jesus präzisierte und sagte: „Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Menschliches Leben wird von Menschen geboren, doch geistliche Leben von Gottes Geist.“ Und dann vergleicht Jesus dieses Geschehen mit dem Wind, von dem man nicht weiß, woher er kommt und wohin er geht. „So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren wird.“ Damit will Jesus deutlich machen, was vom Apostel Johannes schon im ersten Kapitel beschrieben wird: „Doch allen, die ihn [Jesus] aufnahmen, die an seinen Namen glaubten, gab er das Recht, Kinder Gottes zu werden. Sie wurden das nicht auf Grund natürlicher Abstammung, durch menschliches Wollen oder den Entschluss eines Mannes, sondern durch eine Geburt aus Gott.“ Damit hat Jesus gesagt, was man schon im Psalm 65:5 lesen kann:

“Glücklich ist der Mensch, den DU erwählst und zu dir kommen lässt, damit er bei dir wohne.”

 Also muss Gott wollen! Er muss uns zu sich lassen! Er muss in uns etwas sehen, was ihm gefällt. Dann wird er seinen Finger auf uns richten und leise sagen: „Komm!“ Oder nehmen wir Jesus Christus, der mehrmals darauf aufmerksam machte, dass Gott Menschen zu sich zieht: “Niemand kann zu mir kommen, es sei denn, Gott ziehe ihn.” Und so hat Gott immer Menschen zu sich gezogen und ihnen erlaubt, ihm nahe zu sein. Darin manifestiert sich der Glaube an Gott! Glaube an Gott ist keine Zeremonie, keine Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft, sondern die Gewissheit, dass Gott IST und wir durch das Band der Liebe mit ihm verbunden sind. Und diese Erfahrung, dieses metaphysische Erkennen Gottes, vollzieht sich im inneren Menschen. Dadurch finden Jesu Worte aus Johannes 14:23 ihre Erfüllung:

„Wenn jemand mich liebt, wird er sich nach meinem Wort richten. Mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen.“

Diese Menschen wissen danach, dass ER lebt, dass ER im Bewusstsein wahrgenommen wird! Sie sagen nicht mehr: “Ich glaube an Gott!”. Denn was man sehen kann, muss nicht mehr geglaubt werden.

Für sie ist Gott eine Person und nicht etwas Ungewisses, an das man glauben kann oder auch nicht. Für sie ist Gott die Autorität, der sie sich gern unterwerfen und vor der sie sich verantwortlich fühlen. Und was fordert Gott von Menschen, die ihn kennen?

“Er hat dir mitgeteilt, Erdenmensch, was gut ist. Und was fordert dein Gott von dir zurück, als Güte zu lieben, Recht zu üben und bescheiden mit IHM zu leben?” (Micha 6:8)

Mit diesem Satz lässt sich Glaube und damit alle Religiosität zusammenfassen! Der christliche Glaube hat dazu noch das Bekenntnis zum Sohn Gottes, zu Jesus Christus. Dieses Bekenntnis zu Jesus erschöpft sich niemals darin, eine Kirche zu besuchen, Gebete nachzusagen, bestimmte Zeremonien mitzumachen und sich einzubilden, dass damit alles getan sei. Ein Christ ist man zuerst durch die Liebe zu Gott und seinen Mitmenschen, man ist es durch die tätige gelebte Liebe! Diese Liebe übt man nicht aus Pflichtgefühl, weil man muss, sondern weil man es so will, weil man in der tätigen Liebe seine ureigene Verantwortung vor Gott sieht. Es ist eine Herzenssache, die das ganze Leben durchzieht. Und auch hier ist man in gewissem Sinne allein, denn die Liebe braucht keine Aufpasser und Antreiber. Die Liebe ist das göttliche Licht in einer sonst finsteren Welt.

So einfach präsentiert sich Glaube aus Sicht der Bibel! Im Brief an die Hebräer schrieb Paulus: „Wer zu Gott kommen will, muss glauben, dass es ihn gibt und dass er die belohnt, die ihn aufrichtig suchen.“ (Hebr. 11:6) Aber das alles ist eben keine Fleißaufgabe, es ist ein Geschenk, eine Frucht des Geistes Gottes. Daran lässt die Bibel keinen Zweifel aufkommen:

„Denn durch die Gnade seid ihr gerettet worden aufgrund des Glaubens. Ihr selbst habt nichts dazu getan, es ist Gottes Geschenk und nicht euer eigenes Werk, denn niemand soll sich etwas auf seine guten Taten einbilden können. Denn wir sind Gottes Werk. Durch unsere Zugehörigkeit zu Christus hat er uns so erschaffen, dass wir das Gute tun. Gott selbst hat es schon für uns bereitgestellt, damit wir unser Leben entsprechend führen können.“ (Eph.2:8-10)

Wenn Glaube das tiefe Vertrauen in Gott bedeutet, dann ist es deutlich, dass es nicht auf auswendig gelernte Glaubenssätze und Bekenntnisse ankommt, nicht auf „Erkenntnis aufnehmen über Gott“ und nicht auf das Ausüben bestimmter Handlungen, weil man meint, Glaube sei schon das Ausüben solcher Handlungen. Es stimmt schon, dass sich Glaube in christlichen Werken ausdrückt, aber diese Werke können auch ohne Glauben, ohne das Vertrauen in Gott ausgeführt werden. Für den Glaubensmenschen sind die dazu passenden Werke einfach natürlicher Ausdruck seiner Liebe zu Gott. Er will sich damit keine „Pluspunkte“ verdienen und keinen Anspruch auf die Gnade Gottes erheben. Er will einfach nur Gott verherrlichen und seinen Vater erfreuen, weil er in der Liebe die Erfüllung seines Lebens sieht.

Mitunter wird davon geredet, dass man ‚Glauben erarbeiten’ muss. Was versteht man darunter? Eine mögliche Antwort wäre, dass Glaube auf das Gehörte folgt, dass Glaube durch Erfahrungen mit Gott gestärkt werden kann und dass der Glaubende auch Trost und Stärkung braucht. Das bringen auch die Apostel zum Ausdruck. 

Reden aber Funktionäre gewissser Religionsgemeinschaften über Glauben, dann hört es sich wie eine Bastelanleitung an: Lese täglich im Katechismus!  Gehe fleißig in die Kirche! Beichte regelmäßig! Bete! Bete! Bete! Man muss also viel tun, um zum Glauben zu kommen. Dabei wird nicht klar, dass der Glaube ein Geschenk ist, das durch den heiligen Geist vermittelt wird. Es bleibt dunkel, wenn es dabei um die Hilfe Jesu geht und es in der Hauptsache um Gott geht, der erkannt werden muss, bevor man überhaupt glauben kann.

Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass man den ganzen Katalog der religiösen Pflichten abarbeiten kann, ohne einen Funken Glauben zu haben! So ähnlich erging es Mutter Theresa, die in den Slums von Kalkutta Sterbende auflas, ihnen die katholische Taufe gab, sie bis zum Tode pflegte und viel Geld für ihr Projekt sammelte. Sie hat wiederholt in den Briefen an ihre Beichtväter geschrieben, dass dort, wo Gott sein sollte, nur Stille, Finsternis und Kälte sei! Im Sinne ihrer Kirche hat sie alles getan, was man angeblich braucht, um glauben zu können. Aber es kam nie dazu. (Eugen Drewermann berichtete auch über Kleriker, die hervorragende Kirchenmänner waren, aber keinen Glauben hatten!)

Wie anders waren die Menschen, die von Paulus in Hebräer 11 erwähnt werden! Zuerst hatten sie Glauben, d. h. zuerst vertrauten sie Gott und dann erst handelten sie aus Glauben! Ihre Handlungsweise hatte dann natürlich Rückwirkungen auf ihren persönlichen Glauben. Er wurde durch Erfahrungen mit Gott stärker und tiefer, sie lernten dadurch Gott besser kennen. Aber dieses Kennenlernen folgte auf den Glauben, während sich alle Werksgerechten einbilden, dass der Glaube auf die Werke folge.

Wenn das so wäre, dann hätte es in Israel viele Menschen geben müssen, die glauben konnten. Aber was Jesus sah, war eine „ungläubige Generation“. Die meisten gingen wohl in die Synagoge oder in den Tempel, verrichteten die vom Gestz vorgeschriebenen Handlungen, gaben Opfer und waren mildtätig. Aber den Christus lehnten sie ab, weil sie keinen Glauben hatten. Der Glaube folgte eben nicht automatisch auf ihr religiöses Leben.

Wir haben im NT gute Beispiele dafür, dass Glaube ein Geschenk Gottes ist und nicht die Frucht eigener Arbeit: Da wäre z. B. der Offizier von Kapernaum, ein gottesfürchtiger Mann, der Jesus glaubte. Wie kam das zum Ausdruck? Nun, er meinte, dass Jesus nicht erst zu seinem Diener kommen müsse, um ihn gesund zu machen. Nach seinem Glauben sollte ein Wort Jesu aus der Ferne genügen – und es genügte! Oder denken wir an die Frau, die zwölf Jahre lang an Blutfluss litt. „Wenn ich nur sein Gewand berühre …“ Und als sie geheilt war, sagte Jesus: „Dein Glaube hat dich gesund gemacht!“ Ich muss jetzt noch auf ein Beispiel aus der Zeit des alten Bundes hinweisen: In Lukas 4 finden wir das Erlebnis Jesu in der Synagoge von Nazareth. Jesus hatte aus dem Propheten Jesaja vorgelesen. Die Zuhörer waren beeindruckt und bewunderten ihn, und doch musste ihnen Jesus eine bittere Wahrheit klar machen. Jesus erwähnte die Witwe von Zarephat und den syrischen General Naaman. Beides waren Ausländer, aber beide hatten Glauben! Die Witwe gab dem Propheten das allerletzte Essen, denn es herrschte Hungersnot. Sie hatte ein Kind, das hungerte und doch gab sie das letzte Essen dem Propheten! Warum? Weil sie Glauben hatte. Gott hatte diese Frau nicht übersehen. Als Jesus darauf hingewiesen hatte, dass es auch in Israel viele hungernde Witwen gab und Elia nicht zu keiner von ihnen geschickt worden war, erkannten sie die Wahrheit, die Jesus ausdrücken wollte: Sie hatten, obwohl sie zum Staatswesen Israels gehörten und sich „richtigen Religion“ wähnten, keinen Glauben! Und dann wollten diese frommen Leute Jesus umbringen! (Lukas 4:24-30)

Die Menschen aus Hebräer 11 hatten Glauben als einen persönlichen Besitz. Sie mussten ihren Glauben nicht ständig „erarbeiten“, weil sie Gott gesehen hatten, weil er ihnen vor Augen stand (Hebr. 11:27) Wer meint, Glauben erarbeiten zu müssen, glaubt an die eigene Leistung und nicht so sehr, dass Glaube eine Frucht oder das Erzeugnis des heiligen Geistes und somit ein Geschenk Gottes ist. Wer immer wieder das Erarbeiten des Glaubens wie einen Leistungssport darstellt, will Menschen zu Tätigkeiten veranlassen, die seinen Zwecken dient. Er redet ihnen ein, dass Glaube erarbeitet werden muss, sonst ginge er verloren. Das ist halb wahr, aber eben nur halb. 

Denn wenn Glaube ein Geschenk, eine Gnade ist, dann kann man dieses Geschenk nur pflegen. Man kann den Glauben stärken, man kann ihn vertiefen. Hiob z. B. hatte Glauben. Er glaubte an den Schöpfer, von dem er wusste, dass er lebt (Hiob 19:25). Wir lesen im Buch Hiob die fürchterlichen Anklagen Hiobs, denn er verstand seinen Gott nicht. Dadurch hat er aber nicht seinen Glauben aufgekündigt. Das wusste Gott, und deshalb sprach er zu Hiob aus dem Sturm. Nach dieser Demonstration gab Hiob zu, nichts gewusst zu haben. Er sagte: „Ja, ich habe geredet, was ich nicht verstand. Es war zu wunderbar für mich, ich begriff das alles nicht. Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, doch jetzt hat mein Auge dich gesehen. Darum verwerfe ich mich und bereue in Staub und Asche.“ (Hiob 42:3-6)

Was hatte Hiob gesehen? Sein Glaube ist um eine wesentliche Dimension vertieft worden! Jetzt wusste er, dass er nicht alles verstehen musste und konnte. Aber nun wusste er auch, dass er Gott unbedingt vertrauen durfte; jetzt wusste er, dass er seinem Gott nichts Ungereimtes zutrauen konnte und ER ihn als Menschen immer im Blick hatte. Jetzt, so scheint es uns, war sein Glaube wirklich tief geworden. Und wieder bemerken wir, dass es nicht Hiobs Leistung war! Und so wird es jedem gehen, der glaubt und weiß, dass sein Erlöser lebt. Und wir bemerken auch, dass nicht einmal Hiobs Rechtschaffenheit (also das Ausüben von Werken wie in Hiob 31:1-34 von ihm geschildert) ihn zu dieser Glaubensdimension gebracht hatte.

Was ist nun von der puritanischen Pflichtmoral mancher Kirchen zu halten? Was bewirkt sie denn wirklich an Besonderem? Sie kann vielleicht das eigene Gewissen beruhigen, weil man ja „tätig“ war und man sich einbilden kann, Glauben zu haben, weil man Werke vorweisen kann. Wenn aber diese Werke gar nichts mit Glauben zu tun haben, dann nützen sie nichts. Man kann noch einen Schritt weitergehen: Ohne Liebe ist sogar der Glaube nutzlos (1. Kor. 13:2). Und ganz nebenbei: Auch der Teufel glaubt an Gott, aber er liebt ihn nicht. Liebe und Vertrauen gehören zusammen. Und alles andere folgt daraus.

Eine Welt ohne Frieden

“Wieder erschien ein Pferd. Es war feuerrot. Seinem Reiter wurde ein großes Schwert gegeben und er bekam die Macht, den Frieden von der Erde wegzunehmen, so dass die Menschen sich gegenseitig abschlachten würden.”  (Off. 6:4)

“Hättest du doch auf meine Gebote gehört! Dann wäre jetzt dein Frieden wie ein Strom, deine Gerechtigkeit wie die Wogen im Meer.

Doch für den Gottlosen gibt es keinen Frieden.” 

(Jes. 48:18, 22)

Seit ca. sechstausend Jahren kennen wir aus der Geschichte den Kampf oder besser: die Bemühungen um den Frieden. Schon in den ältesten Kulturen wird der Staat als eine Voraussetzung für Frieden erkannt: Im Gilgamesch Epos, im Codex Hammurabis, in den Gesetzen der griechischen Stadtstaaten und  im Römischen Reich soll die staatliche Ordnung für Frieden sorgen, ja garantieren. Und es liegt ja auf der Hand, dass jede soziale Gemeinschaft eine allgemein anerkannte Ordnung braucht, die das friedliche Nebeneinander regelt.  Aber so einfach scheint es nicht zu sein! An Gesetzen ist kein Mangel. Leider war der Staat bis heute selbst eine Gefahr für den Frieden. Zweimal hat man die Menschheit im 20. Jahrhundert an den Rand des Abgrunds gebracht und jedes Jahrhundert ist ein Jahrhundert der Kriege gewesen! Und heute stehen wir wieder kurz davor, in den Abgrund zu stürzen. Alle Friedensforschungen,  Konferenzen und Appelle scheinen wirkungslos zu sein. Fazit eines zutiefst ernüchterten Zeitgenossen: Der Mensch schafft den Frieden nicht, den er sich wünscht! Nein, in der Politik ist bis heute nichts von der Maxime zu spüren, dass Frieden ihre oberste und edelste Aufgabe sein soll. Da fehlt der allgemeine Konsens, der gute Wille und die Anständigkeit. Ein paar, vom Volk gewählte Menschen, die sich über alle moralischen und demokratischen Regeln hinwegsetzen,  können heute die Welt untergehen lassen! 

Auch die vielen Religionen mit ihren guten Morallehren haben nicht zum Frieden hingeführt; sie haben ihn  immer wieder in Gefahr gebracht und selbst Kriege “für den rechten Glauben” geführt! Alle Religionen predigen Liebe und sind doch nicht einmal unter sich selbst friedfertig: In tausend Sekten gespalten gehen sie sich an die Kehle. Sieht man genauer hin, dann wird ein Wort aus dem Propheten Micha bedeutungsvoll: “Haben sie etwas zu beißen, verkündigen sie Glück und Erfolg. Gibt man ihnen aber nichts ins Maul, drohen sie den Untergang an.”

Warum wird die Welt nicht friedlich?

Die eingangs zitierten Texte aus der Bibel können eine Antwort auf die Frage geben, warum es bis heute keinen Frieden gibt: Der Frieden ist aus der Welt verschwunden, weil die Menschheit nicht auf die Gebote Gottes gehört hat. Er ist verschwunden, weil die Menschheit Gott vergessen hat und sich selbst überlassen wurde. Und dabei sind die Gebote Gottes ihr nicht unbekannt, sonst hätten sie im Grundsatz keinen Eingang in die ältesten Gesetze gefunden. Es ist eine Tatsache, dass der Mensch das Gesetz Gottes “im Herzen” hat, d. h. im Gewissen, das ihn über Gut und Böse entscheiden lässt. Von daher gibt es eigentlich keine Entschuldigung und keine Rechtfertigung für das Führen von Kriegen! Kriege werden geführt, weil man die Stimme des Gewissens nicht hören will.

Die Welt befindet sich darum in einem Kriegszustand mit Gott. Denn jede Verletzung der göttlichen Gerechtigkeit kann zu Unfrieden führen, wenn aus dem Denken der Menschen Tugenden wie Liebe, Barmherzigkeit, Verständnis, Mitgefühl, Verantwortung, Versöhnungsbereitschaft und Verständigungswillen immer mehr verschwinden. Um diese Tugenden auszuleben, braucht es mehr als nur die Einsicht, dass sie gut und nützlich sind. Der Mensch muss die höchste Verantwortlichkeit pflegen, die es gibt: Die Verantwortung vor Gott! Nur wenn Gott den Menschen das Ein und das Alles wird, kann es diese allein tragfähige Verantwortung geben. 

Und es gibt ja noch den Friedensfeind, an den man auch nicht glaubt: Den Teufel, der in der Bibel als „Weltbeherrscher dieser Finsternis” und als “Herrscher dieser Welt” charakterisiert wird. Der Teufel, die Person des Bösen, ist keine Witzfigur oder Schreckgespenst, mit dem man Kindern im Märchen Angst machen will. Er ist da, er ist real! Wird das nicht auch dadurch schon bewiesen, dass sich immer mehr Menschen mit Spiritismus beschäftigen? 

Nun ist der Teufel am Krieg in dieser Welt nicht allein schuld. Wie alle Gewaltherrscher hat auch er seine vielen Helfer. Das sind Menschen, die “Gott nicht kennen” und sich größtenteils durch Todesfurcht erpressen lassen. Sie werden von Jesus Christus als des Teufels “Kinder” bezeichnet (Joh. 8:44). Und Jesus erklärt an dieser Stelle, dass sie ebenso denken und handeln wie ihr geistiger “Vater”. Und da liegt die Wurzel des Problems; im Denken entsteht Krieg oder Frieden.  Im Denken, das der Teufel beeinflusst, liegen Glück und Unglück des Menschen. Hier haben alle bösen Taten ihren Ursprung. 

Es ist bemerkenswert, wenn man auf eine unscheinbare Meldung stößt, aus der hervorgeht, dass von ca. 130 Staaten, die vor 20 Jahren noch demokratisch waren, fast die Hälfte mittlerweile von Diktatoren bzw. Autokraten beherrscht wird. Immer mehr driftet diese Welt in die politische Radikalität ab. Überall erstarkt der Nationalismus, das perfekte Gift für empfängliche Gehirne. Das ist kein verordnetes Schicksal, sondern die Folge einer ausufernden Gesetzlosigkeit, an der fast alle Menschen irgendwie beteiligt sind. Diese zunehmende Gesetzlosigkeit lässt die Liebe einfach sterben. Und jeder, der sich darauf einlässt, macht sich zum gedankenlosen Mittäter der machtgierigen Politiker, die durch ihre Raubzüge den Frieden aus der Welt verjagen.  

Zuerst Frieden mit Gott

Es hat einen tiefen Sinn, wenn im Neuen Testament der Gedanke kultiviert wird, dass Frieden eine Frucht oder Wirkung des Geistes Gottes ist (Gal. 5:19-25). Damit wird die Aufmerksamkeit von den Bestrebungen des irrenden Menschen weg zu Gott gelenkt, der durch seinen Geist Frieden bewirken kann, Frieden in der Welt und Frieden im Menschen. Denn dieser Gedanke macht deutlich, dass ein neues Bewusstsein im Menschen dazu führen kann, damit Frieden ein dauerhafter Gast auf dieser Erde sein kann. 

Man kann die Bibel unter verschiedenen Gesichtspunkten sehen; man kann sie z. B. als eine Anleitung dafür sehen, Frieden mit Gott zu machen. Der Prophet Jesaja beschrieb, was ein “Volk für Gott” ausmacht. Dieses Volk würde von aller moralischen Unreinheit gereinigt werden. Und fände Gott dann noch eine Unreinheit bei Einzelnen, dann wäre er wie ein Gärtner, der Unkräuter ausrisse. “So geht es dem, der nicht Schutz bei mir sucht und Frieden mit mir macht, ja, Frieden mit mir schließt.” (Jes. 27:5) Dieser Gedanke kommt dann im Neuen Testament ganz deutlich zum Höhepunkt, wenn beschrieben wird, wie Jesus die Versöhnung, das Frieden schließen mit Gott, möglich macht. 

“Werdet versöhnt mit Gott!”

An alle Menschen ergeht immer wieder die Aufforderung, Frieden mit Gott zu schließen. Das steht im Alten ebenso wie im Neuen Testament. Der Apostel Paulus fühlte sich als Gesandter Gottes, der den Menschen zurief: “Lasst euch versöhnen mit Gott!” (2. Kor. 2:20) Immer wieder streckt Gott die Hand zur Versöhnung aus. Jesus Christus hat die Versöhnung mit Gott für jeden Menschen erfahrbar gemacht. Und an uns liegt es nun, die ausgestreckte Hand zu greifen und Frieden mit Gott zu schließen. An uns liegt es, unser Denken und Fühlen von Gott erneuern zu lassen.

Eine Welt ohne Gott ist eine Welt ohne Frieden

Ich richte meinen Blick auf diese Welt und frage mich, wie viele machen von diesem göttlichen Friedensangebot Gebrauch? Wenn ich den Worten Jesu vertraue, dann sehe ich ein, dass es nur wenige sind, die auf dem schmalen Weg des Glaubens die Versöhnung annehmen und dann selbst zu friedfertigen und friedensstiftenden Menschen werden. Die Mehrheit ist in alten Verhaltensmustern gefangen und wird weiter Böses mit Bösem vergelten, wird weiter auf Krieg und Verwüstung bauen, um egoistische Ziele zu erreichen. Da wird einem schnell klar, dass es für “die Bösen keinen Frieden geben” kann (Jes. 57:21). Es ist keine allgemeine Umkehr zu erwarten. In der Offenbarung lese ich, dass die Menschen Gott fluchen, wenn sie unter den Folgen ihrer eigenen Taten zu leiden haben. Ja, dass sie dazu neigen, die Schuld auf Gott zu schieben. Weiter heißt es, dass sie ihre schlechten Taten nicht bereuen (Off. 16:9, 11). Das ist schlimm für diese Welt! Denn ohne Reue, ohne echtes Bedauern, ist weder eine Versöhnung mit Gott, noch ein weltweiter Frieden  möglich. 

Damit ist der weitere Weg dieser Welt vorgezeichnet. Bis zum Ende wird es Kriege geben. Das Ende wird durch Jesus Christus kommen, wenn er allen Kriegen ein Ende macht, um sein Reich aufzurichten, in dem Frieden und Gerechtigkeit sich endlich begegnen. 

Diese Welt hat sehr viele Probleme, für die bereits Lösungsvorschläge  existieren. Aber diese Vorschläge sind nur unter der Voraussetzung eines weltweiten Friedens zu verwirklichen. Wo soll das Vermögen herkommen, das für irgendeine Problemlösung nötig ist, wenn es in die Rüstung fließt und später dazu verwendet werden muss, um die unmittelbaren Kriegsschäden zu mildern? Was hilft es, wenn Kriege immer neue und größere Probleme verursachen, weil die Waffen teuflischer und teurer und die Schäden immer größer werden? 

 Was nützt es, wenn wir uns “umweltkonform” verhalten und Kriege ganze Länder auf Jahrzehnte verseuchen und verwüsten? Es ist leider so, dass dem “Gott der Festungen” das Vermögen der Völker geopfert wird! (Da. 11:38) Bis heute ist diese Welt durch Uneinigkeit, Gegensätze und Zerrissenheit gekennzeichnet. Wie soll es da zu Frieden kommen? Nicht einmal die Minimalanforderungen einer Genfer Konvention und der vielen UNO-Beschlüsse haben etwas daran geändert!

Zwei Drittel!

Zwei Drittel aller Menschen unseres Kulturkreises erwarten angstvoll den “großen Crash”!  Sie erwarten Naturkatastrophen globalen Ausmaßes, weltweite soziale Unruhen, die in Bürgerkriege ausarten, Pandemien, einen Weltkrieg mit Atomwaffen und den Zerfall jeder staatlichen Ordnung. Zwei Drittel! So weit waren wir wohl noch nie. Wen wundert es noch, wenn die Angststörungen zunehmen, weil es scheinbar keine sichere Zukunft gibt?

Diese Angst hat auch die Reichsten der Reichen erfasst. Das ist deutlich an international tätigen Firmen abzulesen, die Bunker und angeblich sichere Zufluchtsorte für horrende Summen als Schutz vor drohenden Katastrophen anbieten. Die Schweizer Firma oppidum.com bietet  z. B. unterirdische Bunker an, die bis zu 10 Jahren das Überleben ihrer Bewohner garantieren. Wie krank ist dieses Denken, dass man Millionen Euro dafür auszugeben bereit ist? Zuerst richtet das Kapital die Welt zugrunde, und dann sucht es Schutz im Bunker? Aber diese Rechnung wird nicht aufgehen. Vor Gottes Zugriff gibt es kein Entkommen! (Amos 9:1-4) Also mache man sich bereit, Gott zu begegnen! (Amos 4:12)

Diese Angst ist natürlich das große Thema für die vielen Religions- Organisationen, die hoffen, mit Endzeitangst das große Geschäft zu machen. Aber in keiner Kirche ist man als Mensch sicher, solange man selbst keinen Frieden mit Gott geschlossen hat. Und dass die Kirchen selbst keinen Frieden mit Gott geschlossen haben, ist schon deutlich geworden. Nur Einzelne haben das bisher getan. Und dazu brauchten sie keine friedlose Kirche. 

Der persönliche Frieden mit Gott ist die einzige Sicherheit und das einzige Mittel gegen die Angst.

Das ist zusammengefasst die einfache Lösung eines von Menschen geschaffenen Problems. Aber dazu ist es nötig, Gott selbst zu erfahren und ihm allein zu vertrauen. 

“Hättest du doch auf meine Gebote gehört! Dann wäre jetzt dein Frieden wie ein Strom, deine Gerechtigkeit wie die Wogen im Meer.”

Der neue Mensch

Zur Einführung: Der „neue Mensch“ im Denken Hitlers: Hermann Rauschning (1933 Senatspräsident von Danzig und zur engeren Umgebung von Hitler gehörend.) Aus einem Gedächtnisprotokoll:

Hitler sprach zu Rauschning über Auslese und Mutation:“Der Mensch wird Gott, das ist der einfache Sinn. Der Mensch ist der werdende Gott … Was aber die Urstimme des Menschen hört, was sich der ewigen Bewegung weiht, das trägt die Berufung zu einem neuen Menschentum…Wer den Nationalsozialismus nur als politische Bewegung versteht, weiss fast nichts von ihm. Er ist mehr noch als Religion: er ist der Wille zur neuen Menschenschöpfung…Glauben Sie nicht, dass man diesen Prozess der Auslese durch politische Mittel beschleunigen kann?…Meine Politik ist nicht im landläufigen Sinne eine nationale Politik. Ihre Maßstäbe und Ziele nimmt sie von einer allseitigen und umfassenden Erkenntnis vom Wesen des Lebens…Der neue Mensch lebt unter uns. Er ist da! (rief Hitler triumphierend) Genügt Ihnen das? Ich sage ein Geheimnis. Ich sah den neuen Menschen, furchtlos und grausam. Ich erschrak vor ihm.“ (Rauschning 1940:232/233) Hitler habe dabei etwas wie die Verzückung eines Liebenden an sich gehabt. Rauschning schreibt auch, Hitler habe oft wie ein „Eingeweihter und Seher“ gesprochen.

Diesen Gedanken hat Hitler nicht selbst gedacht. Wir finden ihn ebenso bei F. Nietzsche, im italienischen Futurismus. und im sowjetischen Sozialismus. So wünschten sich „Weltverbesserer“ den Menschen der Zukunft. Die Haltung der Bibel widerspricht diesen Ideen.

Der Mensch im Allgemeinen weiß, worauf es ankommt, denn er hat ja ein Gewissen. Aber das Gewissen wird so behandelt, wie es Peter Bruegel in seinem Bild vom Sturz des Ikarus illustrierte: Das ist die Kunst, wegzuschauen, nicht wahrhaben zu wollen, was die Wirklichkeit lehrt und sich am Gewissen vorbeizumogeln. Ich möchte es hier als Ikarus-Phänomen bezeichnen. Und dann ist da noch die fest verwurzelte Haltung, andere Verhältnisse zu wünschen, aber nicht bereit zu sein, das eigene Verhalten zu verändern und andere Denkmuster zuzulassen, um zu besseren Ergebnissen zu kommen. Wir suchen für uns immer wieder Entschuldigungen und Ausreden und kommen doch nicht weiter. Auch  das hat seinen Ursprung im Bewusstsein oder wie die Bibel sagt: im Herzen.

Darum müssen Bemühungen versagen die Verhältnisse zu ändern, wenn wir nicht bereit sind, unser eigenes Denken, also uns zu erneuern, um zu besseren Resultaten zu kommen. Das ist unsere Tragik. Die Menschen bleiben in der Mehrzahl leider das, was sie immer waren: Gleichgültig und unbelehrbar, denn kaum will man einsehen, dass man nur das ernten kann, was man gesät hat. Will ein Mensch aber sein Verhalten ändern, dann muss er zuerst seine Defizite erkennen und dann sein Denken erneuern lassen. Es geht also um eine Bewusstseinsänderung. Diese Änderung ist nicht einfach, sondern erfordert Mühe, Anstrengung und den Kampf gegen sich selbst.

Wie weit können Änderungen gehen? Haben wir es allein in der Hand, uns zu ändern?

Herz aus Stein gegen Herz aus Fleisch

In der Bibel ist von einem „neuen Menschen“ die Rede, den ein Christ „anziehen“ muss, und sie stellt eine enge Beziehung her zwischen dem neuen Menschen und dem Geist Gottes, der diese Persönlichkeit formt und zu einem neuen Bewusstsein führt. Für Nachfolger Jesu gilt dies:

„… dass ihr in Hinsicht auf euer früheres Leben den alten Menschen abgelegt habt. Denn der richtet sich in Verblendung und Begierden zugrunde. Ihr dagegen werdet im Geist und im Denken erneuert, da ihr ja den neuen Menschen angezogen habt, den Gott in seinem Bild erschuf und der von wirklicher Gerechtigkeit und Heiligkeit bestimmt ist.“ (Eph. 4:22- 24)

Die Bibel drückt es so aus, dass sie Menschen „ein Herz aus Fleisch und einen neuen Geist“ verheißt. Und sie führt weiter aus, dass es durch Gottes Hilfe geschehen muss, die dazu führt, dass ‚das Herz aus Stein’ gegen ein ‚Herz aus Fleisch’ ausgetauscht wird:

„Ich gebe euch ein neues Herz und einen neuen Geist: Das versteinerte Herz nehme ich aus eurer Brust und gebe euch ein lebendiges dafür. Ich lege einen neuen Geist in euch und bewirke, dass ihr meinen Gesetzen folgt und euch nach meinen Rechtsbestimmungen richtet. … Ich werde euch von allem Sündenschmutz befreien. … Dann werdet ihr an euer böses Tun und Treiben von früher denken und vor euch selbst Ekel empfinden wegen eurer Sünden und Gräueltaten. Ich tue das nicht wegen euch, spricht Jehowah, der Herr, das sollt ihr wissen! Im Gegenteil ihr habt allen Grund, euch zu schämen, ihr Israeliten.“ (Hes. 36:25-29)

Wie der Tausch gelingen kann

Im Neuen Testament heißt es an einer Stelle dazu:

„Ihr dagegen werdet im Geist und im Denken erneuert, da ihr ja den neuen Menschen angezogen habt, den Gott nach seinem Bild erschuf und der von wirklicher Gerechtigkeit und Heiligkeit bestimmt ist.“ (Eph. 4:24)

Mit dieser Erneuerung wird der Mensch, der sich dem Geist Gottes ausliefert, besser und gerechter. Er legt viele seiner schlechten Gewohnheiten ab, weil die geistige Kraft Gottes ihn antreibt, weil er Gott liebt und seine Liebe durch sein edles Streben zeigen möchte.

Solange ein Mensch nicht sein Denken und Fühlen ändert, sind auch gutgemeinte Ratschläge wirkungslos! Es macht keinen Sinn, bloß das „Kleid“ im Bedauern seiner eigenen Lage zu zerreißen. Man muss das „Herz“ zerreißen, d. h. eine Änderung des Sinnes vornehmen. Zu den Juden, die viele Reformen beschlossen, aber nie richtig ausgeführt hatten, musste der Prophet Joel sagen: „Zerreißt eure Herzen und nicht eure Kleider!“

Für Menschen, die Gott und seinen Sohn und deren Haltung zur Gerechtigkeit kennen, ist es ein Weg der geistigen Erneuerung, der eines Tages dazu führt, dass sie genau dem Bild entsprechen werden, das der Schöpfer von ihnen jetzt schon hat: Menschen zu sein, die mit ganzer Kraft und aller Hingabe lieben und Gerechtigkeit leben. Für diese Menschen wird es dann so sein, dass „Gott allen alles“ ist. Das ist das große Ziel, für das Jesus gestorben ist!

Was ich bis hier geschrieben habe, hat meine volle Anerkennung. Aber ich sehe – wie Paulus – wie die Sünde in mir wirkt (Rö. 7:14-25). Ich werde auf diesem Weg nicht aus eigener Kraft vollkommen, denn von der geerbten Sündhaftigkeit kann mich nur Gott durch Jesus befreien. Da muss ich auf ein Wunder warten, was aber nicht heißen soll, dass all mein Bemühen fruchtlos wäre. Ich habe mich dazu verpflichtet, gegen die Sünde zu kämpfen. Auf diesem Weg habe ich Gottes tatkräftige Hilfe. Dadurch werde ich zwar ein besserer Mensch, aber noch nicht vollkommen. Jeden Tag kann ich fallen, doch durch Barmherzigkeit werde ich wieder ‚auf die Füße kommen’. Trotzdem erwartet Jesus von mir, dass ich mich positiv verändere und er lässt mir und uns sagen:

„Wenn wir also durch den Geist das neue Leben haben, dann wollen wir es auch in diesem Geist führen“ (Gal. 5:25).

„ … lasst die Art und Weise, wie ihr denkt, von Gott erneuern und euch dadurch umgestalten …“ (Rö. 12: 2)

„Denn der Gott, der einst aus der Finsternis Licht aufleuchten ließ, hat das Licht auch in unseren Herzen erstrahlen lassen und uns die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht von Jesus Christus erkennen lassen.“ (2. Kor. 4:6)

„Darum wollen wir uns von allem rein halten, was Körper und Geist beschmutzt, und in Ehrfurcht vor Gott die Heiligung bewirken.“ 2. Kor.7:1)

Um diesen Rat zu beherzigen, muss ich zuerst einsehen, was bei mir nicht in Ordnung ist. Auch dafür habe ich eine kraftvolle Hilfe: Es ist Gottes Geist, der mich meine Defizite erkennen lässt. Dieser Geist bewirkt auch die nötigen Einsichten und kann uns dazu führen, in uns selbst anzukommen. Und dann gibt dieser positive Geist auch noch die Kraft, Änderungen anzustreben.

Was bewirkt diese Erneuerung?

Zuerst einmal führt sie zu einem guten Gewissen vor Gott, denn nur mit einem guten Gewissen kann man Frieden mit Gott haben. Dieser Friede, der „alles Denken weit übersteigt“ (Phil 4:7) wird unser Denken und Fühlen beschützen, damit es nicht mehr durch äußere Einflüsse und durch quälende Selbstvorwürfe vergiftet wird. Wenn Gott durch Jesus Christus über seine Kinder wacht, dann werden sie in ihrem Bewusstsein beschützt und fallen z. B. nicht der allgemeinen geistigen Mobilmachung zum Opfer, die zum Krieg gegen Gott führt. Heute scheint jeder mit jedem uneins und sogar verfeindet zu sein. Man hasst und beschimpft, man verleumdet und belügt sich, man zerstört das Vertrauen und vergisst die Liebe. Damit ist man auf einem sehr schlechten und gefährlichen Weg, denn er führt zur Zermenschlichung.

Die Macht der Liebe (agape)

Ein „erneuerter“ Mensch dagegen entdeckt seine einzigartige Gabe der Liebe, die ihn erst zum Menschen macht! Er hat Freude daran, diese Gabe für seine Mitmenschen zu gebrauchen. Er versucht durch Liebe das Böse zu besiegen (Rö. 12:21) und vertraut ganz auf die Macht Gottes, durch die das Böse aus den Herzen und aus der Welt verschwinden wird! Für ihn ist die Liebe die Erfüllung seines Lebens und mit der Liebe löst er viele Probleme, an denen diese Welt krankt. Ja, es gibt einen Zusammenhang zwischen Liebe und geistiger Gesundheit! Ihn wahrzunehmen und als Grundgesetz des Lebens zu sehen, ist Bestandteil des erneuerten Denkens. Und die Bibel weist in schönen Worten darauf hin: 1. Kor. 13:1-5:

„Wenn ich die Sprachen von Menschen und Engeln sprechen könnte, aber keine Liebe hätte, wäre ich ein schepperndes Blech, eine lärmende Klingel.

Und wenn ich weissagen könnte und alle Geheimnisse wüsste; wenn ich jede Erkenntnis besäße und einen Glauben, der Berge versetzt, aber keine Liebe hätte, wäre ich nichts.

Und wenn ich meinen ganzen Besitz zur Armenspeisung verwendete, ja wenn ich mich selbst aufopferte, um verbrannt zu werden, aber keine Liebe hätte, nützte es mir nichts.“

Fazit: Ohne Liebe ist alles nichts! Und sie wird zur Realität im Leben, wenn Gottes Kraft zum Guten wirkt. Darin besteht für mich der wahre Reichtum im Leben; alles andere ist dann nur noch Dekoration.

Was eine Erneuerung beweist

Die Veränderung des Geistes ist im Endergebnis die Wandlung zum Licht, zur  Liebe (agape). Es geht nicht so sehr um das theoretische Wissen, sondern um einen „neuen Menschen“, der vom Geist Gottes angetrieben, dem Christus immer ähnlicher wird. So ein „neuer Mensch“ erfährt an sich selbst, dass er mit Christus verbunden ist. Er braucht fortan kein Bekenntnis, keine Kirche, keine Aufpasser, keine Richter  und kein Regelwerk. Er hat zum Glaubensgehorsam gefunden und wird durch Liebe zum Guten getrieben, weil er unter der Kraft Gottes lebt!

Der „neue Mensch“ hat eine wunderbare Einsicht erfahren: Er weiß, dass er durch Gottes Geist, durch diese mächtige Kraft zum Guten, erneuert wird. Sein einziges Zutun war oder ist seine Bereitschaft, diese Erneuerung zu wollen und zuzulassen. Das kann man auch Gottergebenheit oder Gottesfurcht nennen. Es ist die freiwillige Unterwerfung unter den Willen Gottes, die aus dem Vertrauen kommt, dass Gott für seine Kinder nur das Beste will. Es ist auch die Einsicht in die eigene Begrenztheit und Machtlosigkeit. Denn die Probleme unseres Lebens durchschauen wir zu selten. Wir verstehen zu wenig uns selbst und erst Recht nicht andere. So sind wir auf die Weisheit und die Macht Gottes angewiesen, denn unser Vater im Himmel kennt uns wirklich und kann spezifische Einsichten geben, die dann auch zu guten Ergebnissen führen. Das kann kein „Seelendoktor“ leisten.

Es hat auch mit Verantwortung zu tun, weil ein Mensch des Glaubens Gott „sieht“, d. h. Gott ist in seinem Leben stets gegenwärtig. Und das bildet er sich nicht ein; das fühlt und merkt er. Er nimmt Gott als reale Person in seinem Bewusstsein wahr. Darum er setzt alles daran, ein gutes Gewissen zu behalten. Das ist eine starke Hilfe, denn wer Gott anerkennt, weiß, dass er eine bindende Verantwortung vor ihm trägt. Sie ist nicht beliebig und kann darum nicht aufgekündigt werden wie die Verantwortung vor sich selbst oder vor anderen Menschen. Erst durch diese Verantwortung vor Gott und ihre volle Anerkennung ist Gott bereit, durch seine Kraft zum Guten zu helfen.

Der destruktive Geisteszustand

Wenn sich ein Mensch nicht darauf einlassen kann oder will, dann merkt er das auch. Sein Leben wird entsprechend aussehen, denn er kann in „einen missbilligten Geisteszustand“ geraten, der zu scheußlichem Verhalten führt:

„Und weil sie es nicht für gut hielten, Gott anzuerkennen, lieferte Gott sie einem verworfenen Denken aus, so dass sie das tun, was man nicht tun darf. Jede Art von Unrecht, Bosheit, Habsucht und Gemeinheit ist bei ihnen zu finden. Sie sind voller Neid, Mord , Streit, List und Tücke. Sie reden gehässig über andere und verleumden sie. Sie hassen Gott, sind gewalttätig, hochmütig und prahlerisch. Im Bösen sind sie erfinderisch und ihre Eltern verachten sie. Sie sind unbelehrbar, unzuverlässig gefühllos und kennen kein Erbarmen.“ (Rö. 2:28-30)

Ohne Gottes Hilfe geht es nicht!

Ein im Innern erneuerter Mensch wird sich immer daran erinnern, dass er früher auch dieser Beschreibung entsprochen hat. Und seine positive Veränderung wird er aus Überzeugung dem Wirken Gottes zuschreiben, denn sein Herz weiß, dass ohne Gottes Macht und Hilfe alles vergeblich ist:

„Wenn Jehowah das Haus nicht baut, arbeiten die Bauleute vergeblich. Wenn Jehowah die Stadt nicht bewacht, wacht der Wächter umsonst.“ (Ps. 127:1)

Der Mensch hat die Möglichkeit sich zum Guten zu verändern, weil er die Gabe der Selbsterkenntnis und ein Gewissen hat:

„Der Geist des Menschen ist ein Licht Jehowahs, er durch forscht des Menschen Innerstes.“ (Spr. 20:27)

„Im Spiegel des Wassers erkennst du dein Gesicht, im Spiegel deiner Gedanken dich selbst.“ (Spr: 27:19)

„Das Wort Gottes ist lebendig und wirksam. Es ist schärfer als das schärfste zweischneidige Schwert, … Es dringt bis in unser Innerstes ein und trennt das Seelische vom Geistlichen . Es richtet und beurteilt die geheimsten Wünsche und Gedanken unseres Herzens. Vor Gott ist ja nichts verborgen. Alles liegt nackt und bloß vor den Augen dessen da, vor dem wir Rechenschaft ablegen müssen“ (Heb. 4:12, 13)

Die neue Geburt

Ich möchte zum Schluss noch auf ein Gespräch hinweisen, das Jesus nachts mit dem Pharisäer Nikodemus führte. Dabei ging es um eine neue Geburt, um eine neue Schöpfung. Mit aller Deutlichkeit sagte Jesus:

„’Ich versichere dir’, sagte Jesus, ‚wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht einmal sehen.’“ (Joh. 3:3 auch 5, 6 u. 2. Kor.5:12)

Mit dieser neuen Geburt ist eine Veränderung der Persönlichkeit im Sinne des Schöpfers untrennbar verbunden. Das Leben eines Christen muss vom Geist Gottes bestimmt sein:

„Denn ihr müsst wissen, dass keiner von denen, die in sexueller Unmoral leben, ein ausschweifendes Leben führen oder von Habgier erfüllt sind – einer Form von Götzendienst -, einen Platz im ewigen Reich von Christus und Gott haben wird.“ (Eph. 5:5)

Diese Forderung geht weit über kalte Pflichtmoral hinaus und kann nur erfüllt werden, wenn eine persönliche, herzliche Beziehung zum unsichtbaren Vater im Himmel besteht. Es ist Liebe, Zuneigung, Respekt, Ehrfurcht und Vertrauen! Und wenn ich in diesem Internettagebuch der Frage nachgehe, wie sich Glaube für mich anfühlt, dann gehört die Erfahrung der geistig-moralischen Erneuerung unter dem Einfluss der Kraft Gottes unbedingt dazu!

Was tun, wenn man nichts mehr versteht?

Für mich ist die gegenwärtige Welt in vielen entsetzlichen Bildern eingefangen. Jedes Bild ist ein verzweifelter Schrei, jedes Bild die Qual und der Tod eines Menschen. Wie viel Elend und Unglücklichsein kann ein Bild ausdrücken?

In mir erzeugen diese Bilder der vielen Gewaltexzesse einen starken Widerwillen gegen die Verursacher, gegen diese Welt,  die in Blut ertrinkt. Das macht mich tief traurig und zornig. Manchmal denke ich, dass diese Zustände die  schrecklichen Bilder der Offenbarung dagegen verblassen lassen. Die erlebte Wirklichkeit ist schrecklicher!

Die Menschheit schreit um Hilfe; der Schrei wird immer lauter – ich muss mir die Ohren zuhalten. Ich kann auch die furchtbaren Bilder nicht mehr sehen, ich muss die Augen schließen. Ich kann nicht mitleiden, dazu bin ich zu schwach. Mit einzelnen Menschen kann ich mitleiden, aber mit einer ganzen Menschheit nicht. Das drückt mich zusammen! Und es gibt Momente, in denen ich das Elend der Menschen so deutlich fühle, dass mir die Tränen in die Augen steigen. Ja, ich weine und kann diese tiefe Traurigkeit kaum abwenden. Dann muss ich mich innerlich umwenden und an ein Wort des Propheten Jesaja denken, das dazu auffordert, ‚in die Kammer zu gehen, die Tür zu schließen und sich zu verbergen‘. Ich kann nicht verstehen, warum Gott noch wartet und das Böse weiter wüten lässt.

Wie steht Gott dazu?

Kann er das noch anschauen? Was empfindet er, was denkt er sich dabei? Warum dauert es so lange, bis er eingreift, bis sich sein Wort erfüllt? Warum triumphiert das Böse immer noch? Ich werde an den Propheten Habakuk erinnert, der im Gebet zu Gott schrie:

„Wie lange schreie ich schon zu dir, Jehowah, doch du hörst mich nicht! Ich rufe: „Hilfe“ und „Gewalt“, doch du rettest nicht. Warum schaust du dem Verderben zu? Warum lässt du mich das Unrecht sehen? Warum sehe ich nur Frevel und Gewalt, erlebe Zwietracht und Streit?“

Ich kann diesen Fragen nicht ausweichen. Hat der Prophet eine Antwort bekommen? Ich suche auch nach einer Antwort. Zuerst muss ich mich fragen, ob ich Gott immer verstehen kann und muss. Und dabei denke ich an Hiob, der in seiner Verbitterung harte Worte an Gott richtete, als er bittere Vorwürfe erhob. Ich erinnere mich, dass er Gott fragte, ob es ihm Spaß mache, ihn als Zielscheibe hinzustellen und auf ihn zu schießen. Er beklagte seine Rechtlosigkeit, seine Ohnmacht, seine Hilflosigkeit. Er wollte unter allen Umständen mit Gott reden, um zu erfahren, warum Gott ihn als seinen Feind betrachtete. Aber Hiob war im Irrtum! Gott war nicht sein Feind. Gott bestrafte ihn nicht für seine Sünden, deren er sich nicht bewusst war. Aber seine Bekannten versuchten es ihm so einzureden.

Interessant ist es nun für mich, auf die Art und Weise zu achten, wie Gott mit Hiob umging: Es kam kein Blitzstrahl aus dem Himmel. Nein, Gott antwortet nicht einmal auf die einzelnen Anklagen Hiobs. Stattdessen führte ihn Gott zu Einsichten, ohne zu drohen, ohne auf seine Macht zu pochen, ohne seine Autorität zu missbrauchen. Er wollte Hiob tatsächlich zu einer bestimmten Einsicht führen.

Gott verleiht Einsichten, die einen Menschen von Grund auf umwandeln können. Diese Einsichten vollziehen sich unter dem Einfluss des Geistes Gottes. Auf diese Weise geschieht alles in der Stille und in der Freiheit. Da sind kein Druck, kein Androhen von Konsequenzen, keine wortreiche Überredungskunst und kein Lächerlichmachen von Seiten Gottes. Hier spricht Gott das Herz (den inneren Menschen) und den Verstand an. Man hat bei dieser Belehrung nicht das Gefühl, etwas gegen die eigene Herzensüberzeugung tun zu müssen. Man kommt nicht zu einer erzwungenen Einsicht unter dem Wissen, dass Gott der Stärkere ist und man sich ihm einfach beugen müsse. Die Freiheit des Menschen wird respektiert und seine Würde auch.

Dem Menschen Hiob wurden zwei Tatsachen klar, indem er nachdachte und der Spur folgte, die Gott ihm in seiner Rede aus dem Sturm gelegt hatte: Er sah ein, dass man den Höchsten nicht vor ein Tribunal fordern kann, denn er ist über alle Zweifel gerecht und wahrhaftig, er ist Liebe! Er hat nicht den geringsten Grund, Unrecht zu tun! Gott ist in höchstem Maße Wahrheit und Gerechtigkeit. Und deshalb bleibt dem Menschen nur dies: Der höchsten Majestät, dem himmlischen Vater, bedingungslos zu vertrauen, auch wenn er nichts mehr versteht, auch wenn der arme, begrenzte menschliche Verstand überfordert ist. Auf diese Weise ist Gott größer als unser Herz.

Die Einsicht in die eigene „Armut vor Gott“

Um dahin zu kommen, muss man zuerst einsehen, dass man „von geringer Bedeutung“ ist (Hiob 40:3, 4). Auch ich muss einsehen, dass ich furchtbar arm vor Gott bin! (Mat. 5:3) Erst wenn mir diese Armut, die ja auch eine Armut im Verständnis und in den Möglichkeiten ist, begriffen habe, dann erst habe ich auch begriffen, dass ich Gott wirklich brauche, dass ich ohne ihn nicht sinnvoll als Mensch leben kann, dass ich ohne ihn nicht wahrhaft glücklich sein kann.

Als Mensch bin ich das Ergebnis einer wunderbaren Idee Gottes, aber so beschaffen, dass ich nur mit Gott leben kann. Ich muss an Gottes Hand gehen. Meine menschlichen Möglichkeiten entfalten sich erst richtig unter der Liebe Gottes. Unter dem Einfluss seiner Weisheit kann ich leben und lieben lernen. Darum ist ER der Vater seiner irdischen Kinder.

Ich will auch die Tatsache anerkennen, dass Gottes Gedanken tatsächlich höher sind als die der Menschen (Jes. 55:8-11). Bin ich deshalb enttäuscht? Nein, ich bin es nicht! Denn ich habe auch verstanden, dass ich in Gottes Gedanken einen Platz gefunden habe. Ich fühle mich willkommen geheißen und beachtet; das ist jedenfalls meine eigene Erfahrung. Aus dieser Erfahrung mit Gott kommt dann auch das Vertrauen. Und ich sage mir: „Du darfst vertrauen, auch wenn du nicht alles verstehst!“

Habakuk musste auf Gott warten

Ich komme zurück zu Habakuk. Als er Gottes Willen vernommen hatte, beschloss er vertrauensvoll auf Gott zu warten:

„Nun warte ich auf den Tag der Bedrängnis… Zwar blüht der Feigenbaum nicht, der Weinstock bringt keinen Ertrag, der Ölbaum hat keine Oliven, die Kornfelder keine Frucht …. Dennoch will ich jubeln über Jehowah, will mich freuen über den Gott meines Heils.“ (Hab. 3:16-18)

Auch wenn die Lage hoffnungslos erscheint, wenn weder ‚Feigenbaum noch Weinstock‘ Ertrag liefern, bleibt mein Vater im Himmel dennoch der Gott meiner Rettung! Und ich bin sein Kind und will es bleiben! Die drängende Frage nach dem Zeitpunkt für Gottes Gericht bleibt, und meine Geduld wird auf die Probe gestellt. Aber es wurde schon den Aposteln gesagt: „Ihr müsst das nicht wissen“.

Am Ende wird es so sein: Mein Vater im Himmel wird tun, was für mich gut ist! Und ich darf auf ihn warten! Ich muss daran denken, dass Verheißungen durch Geduld erlangt werden. Bis dahin will ich ganz bewusst das tun, was andere auch gemacht haben:

„Auf, meine Seele, lobe Jehowah, und vergiss es nie, was er für dich tat. Er vergibt dir all deine Schuld. Er ist es, der all deine Krankheiten heilt, der dein Leben vom Verderben erlöst, der mit Gutem dein Alter sättigt und wie beim Adler dein Jungsein wieder erschafft.“ (Ps. 103:2-5)

Meine Hoffnung

Worauf hoffe ich? Auf keinen Fall hoffe ich darauf, dass der Mensch seinen wahnsinnigen Lauf in den Untergang von sich aus beendet. Wir haben alle dieselbe geschichtliche Erfahrung, die eine Hoffnung auf die Macht und den guten Willen des Menschen zu Asche werden lässt: Wer die  Probleme der Vergangenheit nicht gelöst hat, wird auch bei den heutigen lebensbedrohenden Gefahren versagen. Wer in der Vergangenheit ohne Einsicht und Verantwortungsgefühl gehandelt hat, wird es auch in Zukunft nicht anders machen. Man wird versagen, weil man sich einbildet, ohne Moral, ohne Sittlichkeit, ohne Liebe zum Menschen, ohne jede höhere Verantwortung zum Ziel zu kommen. Und das politische Tagesgeschäft wird das bestätigen. Nein, mit solchen Menschen wird eine Änderung zum Guten nicht möglich sein!

Mir bleibt dann nur die eine Hoffnung: Gott, mein Vater im Himmel, wird sein Wort halten! Ich glaube fest daran, dass sich Gottes Wort erfüllen wird, wie es sich immer erfüllt hat. Die Geschichte der Menschheit ist der Beweis dafür, dass sich Gottes Wort immer erfüllt hat! Im Gegensatz zu den auf falschem Fundament ruhenden Hoffnungen der Menschen auf Glück, Frieden, Freiheit und Wohlstand, hat sich Gottes Wort erfüllt. Unsere Geschichte ist die eines grandiosen Scheiterns; es ist die ‚Krankengeschichte eines Irren‘ (Gottfried Benn). Aber unbeirrt wird die Menschheit weiter versuchen, ohne die Weisheit Gottes, ohne diese „Lebensversicherung“, ihre eigenen Ziele zu erreichen. Alle Fehlschläge und Katastrophen werden nicht zur Einsicht führen. Wie ein süchtiger Spieler, der schon alles verloren hat, wird man weiter versuchen, doch noch zu gewinnen. Man wird auch in der Zukunft eher auf menschliche Glücksverheißungen hören, als auf die Weisheit Gottes. Die Menschheit scheint beratungsresistent zu sein. Soweit meine Feststellung!

Zusammen mit anderen Menschen, die sich auch aus diesem Irrsinn zurückgezogen haben, hoffe ich fest darauf, dass Gott das Böse in jeglicher Form beseitigen wird. Unsere Hoffnung stützt sich „nur“ auf die Bibel, aber für uns ist es das feste und sichere Wort des Schöpfers. Es ist das Wort der Hoffnung. Und diese Hoffnung sagt uns auch, dass wir einen „neuen Geist und ein neues Herz bekommen werden“ (Hes. 36:25-27). Und dann endlich wird ein altes Bild seine wahre Bedeutung bekommen:

„Das Zelt Gottes wird bei den Menschen sein! Er wird unter ihnen wohnen und sie werden sein Volk sein. Jede Träne wird er von ihren Augen abwischen. Es wird keinen Tod mehr geben und auch keine Traurigkeit, keine Klage, keinen Schmerz. Was früher war, ist für immer vorbei!“ (Offb. 21:3, 4)

Und für mich ist es dann nur noch wichtig, nicht an Gottes Wahrhaftigkeit zu zweifeln. Mir ist bewusst, wie leicht das geschehen kann: Als Johannes der Täufer von Herodes ins Gefängnis gesperrt worden war, weil der Prophet dem König seine Sünde offen ins Gesicht gesagt hatte, schickte er zwei Männer zu Jesus, die ihn fragen sollten, ob er der erwartete Messias sei. Dem Propheten waren Zweifel gekommen, denn auch er wartete auf das Friedensreich des Messias. Die Antwort Jesu ist positiv, aber er hängt noch eine Warnung an seine Aussage: „Und glücklich ist der zu nennen, der nicht an mir irre wird“. 

Die Königsdisziplin

Was uns groß macht: Barmherzigkeit

Eine der ergreifendsten Eigenschaften des Menschen ist die Barmherzigkeit. Sie ist die Königsdisziplin der Liebe und damit des Christseins überhaupt. Mit ihr steht oder fällt das eigentlich Menschliche. Das deutsche Wort Barmherzigkeit leitet sich aus dem Althochdeutschen ab und bedeutet “ein Herz für die Armen zu haben”. Sie ist etwas anderes als Mitleid, das ein Gefühl ist, während Barmherzigkeit mehr eine starke, innere Betroffenheit ist, die sich aktiv in deiner entsprechenden Hilfeleistung äußert. Sie richtet sich ganz auf das Wohl dessen, der Barmherzigkeit braucht. Sie kann nicht unbeteiligt und gleichgültig am Nächsten vorübergehen, wie es Priester und Levit im Gleichnis vom barmherzigen Samariter getan haben. Barmherzige Menschen werden vom Herzen her dazu gedrängt, anderen Hilfe zu leisten. Es ist Teil ihres Wesens geworden. 

Der Barmherzige weiß, dass er selbst Barmherzigkeit braucht. Er braucht sie zuerst von seinem Schöpfer, weil er ohne Gott nicht leben will und kann. Und er braucht  die Vergebung seiner Schuld. Der Stolze und Herzlose wird es kaum einsehen. Er ist von sich zu sehr überzeugt und meint zu oft, dass alle anderen Sünder sind, nur er nicht. Diese Haltung ist oft unter denen verbreitet, die einer Kirche angehören, die sehr viel Wert auf “Rechtgläubigkeit” legt. Hier wird eine Haltung gezüchtet, die dazu erzieht, über andere schlecht zu denken und hart über sie zu urteilen. Es ist der Stolz der angeblich Guten. 

Die Pharisäer waren solche Menschen. Das brachte Jesus durch ein kleines Gleichnis zum Ausdruck, als er zwei Männer beschrieb, die im Tempel waren, um zu beten. Der eine war ein Pharisäer, der andere ein Steuereinnehmer, der in der jüdischen Bevölkerung einen sehr schlechten Ruf hatte. Der Pharisäer bedankte sich bei Gott dafür, dass er nicht so war, wie die anderen Menschen, wie die Räuber, Ehebrecher und Betrüger – oder wie der Steuereinnehmer, der in seiner Nähe war.  Der Steuereinnehmer aber wagte nicht einmal, sein Gesicht zu erheben und sagte nur: “Gott! Sei mir gnädig! Ich bin ein Sünder.“ Und Jesus schloss dieses Gleichnis mit den Worten: “Dieser Mann wurde von Gott für unschuldig erklärt, der anderen nicht.” (Luk. 18:10-14)

Für die Pharisäer waren einfache Menschen, die keine besondere “theologische” Bildung hatten und den einfachen, schlichten und ehrlichen Glauben an Gott lebten, ohne viel Aufhebens davon zu machen, nur “verfluchte Leute”. Und ich deutete es schon an, dass auch andere Religionen solche schlimmen Blüten treiben. Dabei muss auch die Frage erlaubt sein, ob hier eine wesentliche Ursache für den schlimmen Zustand dieser Welt liegt.  

Und weil diese Menschen so ohne Barmherzigkeit waren, hat Jesus sie hart verurteilt, wenn er sie als “Schlangenbrut”, als Kinder des Teufels,  bezeichnet hat, auf die eine Verurteilung zum ewigen Tod wartet.

“Mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird euch gemessen werden!” (Mat. 7:2) Das war eine deutliche Warnung dessen, der einmal als Richter über die Menschen amten wird. “Denn das Gericht wird erbarmungslos mit dem verfahren, der kein Erbarmen gezeigt hat.” (Jak. 2:13) Das bedeutet, dass nur der Mensch Barmherzigkeit erwarten darf, der selbst barmherzig war!

“Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer” (Hos. 6:6)

Das hat Jesus mehrmals seinen Zuhörern gesagt, besonders den Pharisäern, die stolz darauf waren, das Gesetz Gottes in ihrem Leben anzuwenden. Dabei muss gesagt werden, dass es sich bei ihrer Art der Gerechtigkeit nicht um die Gottes handelte, sondern um Menschengebote, durch die das göttliche Gesetz verfälscht worden ist. Natürlich haben sie im Tempel ihre Opfer gebracht und lange Gebete gesprochen, aber ohne Barmherzigkeit war es sinnlos! Darum hat Jesus den Propheten Hosea zitiert und gesagt: “Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer!” Damit war Gottes Haltung deutlich zum Ausdruck gebracht worden, aber die Unbarmherzigen versuchten danach, den Messias umzubringen. Gerwalt war ihre beliebte Antwort auf die Wahrheit, der sie nichts entgegensetzen konnten.

Die göttliche Barmherzigkeit ist eine Gnade!

Die Barmherzigkeit Gottes ist eine Gnade, ein Geschenk an Sünder, das dazu führen soll, Gottes Gerechtigkeit und seine Heiligkeit zu suchen und auszuleben. Barmherzigkeit soll wie ein segensreicher Regen sein, der die Frucht des göttlichen Geistes, also alles Gute, im Menschen wachsen lässt. Darin will ich Grund und Zweck der Barmherzigkeit Gottes sehen. Und ich betone ausdrücklich, dass Gottes Barmherzigkeit das Gute für mich will! Damit will mich Gott zur Gerechtigkeit, zum Frieden, zur Wahrhaftigkeit und zur Gottesfurcht führen. Damit ist Barmherzigkeit viel, viel mehr, als nur von der Strafe für Sünden abzusehen. Sie ist eigentlich der Weg zur Befreiung aus unserer Verstrickung  in Sünde und Tod. 

Das Grundproblem des Apostels Paulus (Römer 7:14-25)

Im Brief an die Römer kommt der Apostel Paulus auf sein eigenes Problem zu sprechen, und wir merken rasch, dass es auch unser Problem ist. Deutlich sagt der Apostel von sich, dass er nicht immer das tut, was gerecht und gut ist, sondern das, was schlecht ist. Und er stellt fest, dass in ihm das “Gesetz der Sünde” wirkt, dass er das tut, was er eigentlich nicht will. Mit dem Herzen beschreibt er sich als einen Sklaven der Gerechtigkeit, aber sein Körper ist ein Sklave der Sünde. Und er stellt die Frage, wer ihn aus diesem Dilemma befreien könnte. Seine Antwort ist klar: Das kann nur Gott durch das Opfer Jesu. Und damit sagt er auch klar, dass er die Barmherzigkeit unbedingt brauchte, um Frieden mit Gott zu haben, um vom Tod befreit zu werden und durch Liebe ein glückliches Leben führen zu können. Und nur die Barmherzigkeit Gottes hat ihm diese Gnadengabe zugänglich gemacht!

Viele andere Menschen werden diese Erfahrung auch gemacht haben. Im Buch Hiob wird ein Sünder beschrieben, der durch seine bösen Taten an den Rand des Grabes gebracht worden ist. Als er durch seine Leiden und durch die Gewissensqual zur Besinnung kam, wurde  ein “Lösegeld” für ihn gefunden: 

“Dann fleht er zu Gott, und dieser nimmt ihn gnädig an; er darf sein Angesicht mit Jubel schauen, und dieser gibt dem Menschen seine Gerechtigkeit wieder.” (Hiob 33:26)

Dann jubelt er und sagt: 

“Ich hatte gesündigt und das Recht verdreht, und er hat es mir nicht vergolten. Er hat mich erlöst vor dem Abstieg ins Grab, und mein Leben schaut das Licht. Ja, das alles tut Gott zwei- und dreimal mit dem Mann, um sein Leben vom Grab abzuwenden, dass das Licht des Lebens ihm leuchte.” (Hiob 33:27-30)

Verlorene Söhne und Töchter (Luk. 15:11-24)

Was empfindet ein Mensch, dem es so geht, wie dem verlorenen Sohn aus Jesu Gleichnis? Der verlorene Sohn hat grob gegen den Himmel und seinen Vater gesündigt. Als ihm das deutlich vor Augen stand, schämte er sich und wollte nur noch ein Lohnarbeiter bei seinem Vater sein: “Vater, ich habe gegen dich und den Himmel gesündigt. Ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden. Lass mich wie einer deiner Lohnarbeiter bei dir sein.” Und dieser Sohn findet Barmherzigkeit als Hilfe für ein besseres Leben und als Beweis der Liebe seines Vaters! Und nach diesem Muster finden immer noch Menschen, verlorene Söhne und Töchter, zu ihrem Ursprung zurück!

Das alles tut der Allmächtige heute noch durch Jesus Christus, und glücklich darf  sein, wer dies an sich erleben kann! Der größte Akt der göttlichen Barmherzigkeit liegt noch vor uns: Die Auferstehung von den Toten, wenn sich das Versprechen Gottes erfüllt und der Tod “für immer verschlungen” sein wird!

Trost

Ich beginne mit einem Seufzer: “Ach, Andrea! Was du mir mitgeteilt hast, fällt auf ein trauriges, altes Herz, das deinen Schmerz mitempfindet. Seit meiner Kindheit leide ich am Leben. In einem Gedicht schrieb ich: “Durch alle Alter geschritten, als Kind, als Mann, als Greis. Und immer am Leben gelitten, ward mir die Welt zu Eis.” Zur Zeit ist auch bei mir wieder die Hilflosigkeit, die Resignation und das Leiden am Leben in den Vordergrund getreten. 

Und nun lese ich deine traurigen Worte und denke: “Jetzt musst du dich und Andrea trösten”. Und ich hoffe, dass ich mich schreibend wieder frei kämpfen kann. Wenn düstere Gedanken den ganzen Tag durch das Bewusstsein ziehen, dann bleibt mir nur der Weg zu den Gedanken Gottes. Wie oft habe ich in den Psalmen die Wörter “Tränen”, “Verzweiflung”, “Schreien”, „Stöhnen“ und “Weinen” gefunden? Es ist unübersehbar, dass alle Schreiber am Leben gelitten haben. Und wo ließen sie ihre Klagen hörbar werden? Bei Gott! Auch wir haben keine andere Zuflucht, keinen anderen Helfer und Retter. Und darum gehe ich in meinen Gedanken immer zurück, um mich deutlich daran zu erinnern, dass ich nie allein gelassen worden bin. Auch wenn ich es nicht immer sofort wahrgenommen habe, war ich unter Gottes Schutz. 

Im Laufe der Zeit lernte ich, dass Glauben an Gott tatsächlich mit Leiden und Schmerzen verbunden ist. Und das hat unterschiedliche Ursachen. Man kann am Leben leiden, weil man die Verhältnisse in der Welt sieht, und das tut einfach weh. Man kann leiden, weil man für seine Sünden bestraft wird, weil Gott in seiner Erziehung zur Gerechtigkeit keine Straffreiheit gewährt (2. Mose 34:6, 7). Das habe ich alles erlebt. Man kann aber auch leiden, weil man auf die Probe gestellt wird. Und auch dabei wird man Wichtiges über sich und Gott lernen. Das war bei Jesus der Fall. Sein Sterben war so grausam und schmerzhaft, dass er Blut schwitzte! Und doch kamen Engel und stärkten ihn, ohne ihn aus der Prüfung zu befreien. Und dann lesen wir bei Paulus, dass Gott ihn durch Leiden vollkommen machte. Ich weiß nicht, was bei Jesus noch vervollständigt werden musste, aber er hat Paulus zu dieser Aussage inspiriert. (Ich muss über diese Sache noch ausführlich nachdenken.) In diesem Zusammenhang will ich auch an Hiob denken, der in seinem Leid fast an Gott irre wurde. Er verstand Gott nicht. Auf dem Höhepunkt seines Leidens sagte er:

“Doch ich weiß, dass mein Erlöser lebt, er steht am Schluss über dem Tod. Nachdem man meine Haut so sehr zerschunden hat, werde ich auch ohne mein Fleisch Gott schauen. Ihn selbst werde ich sehen, ja, meine Augen schauen ihn an; er wird kein Fremder für mich sein. Ich sehne mich von Herzen danach.” (Hiob 19:25-27)

Ich kämpfe darum, dass mich dieses Vertrauen nie verlässt!  In Gedanken zitiere ich mir oft einen Text aus dem Psalm 73: “Auch wenn ich Leib und Leben verliere, bleibt Gott doch mein Anteil für immer!”. 

Und nun bete ich darum, dass wir beschützt und verstanden werden, dass unser Vater im Himmel auf uns schaut und handelt, dass er uns im Leiden beisteht – wenn er es auch nicht sofort beseitigt.

“Schau nicht ängstlich nach Hilfe aus, denn ich, dein Gott, stehe dir bei! Hab keine Angst, denn ich bin dein Gott! Ich mache dich stark und ich helfe dir! Ich halte dich mit meiner rechten und gerechten Hand.” 

MIt solchen Gedanken versuche ich mich selbst immer wieder “einzunorden”. Hoffentlich konnte ich dir damit ein wenig helfen. Lass dich durch Gottes Geist und Liebe stärken!

Und nun wünsche ich dir eine friedliche Nacht!

Gottesfurcht

Ich liebe das Meer – und ich fürchte es auch. Ich liebe das Gebirge – und ich fürchte es auch. Und so könnte ich fortfahren und viele Werke des Schöpfers aufzählen, die heute, wo ich ein alter Mann geworden bin, ein zwiespältiges Gefühl im Hinblick auf den Schöpfer wecken: Einerseits liebe ich Gott und andererseits fürchte ich ihn. Wie passt das zusammen? Im ersten Gebot, das Jesus Christus für das wesentlichste hielt, heißt es, dass ein Mensch Gott mit ganzer Seele und ganzer Kraft lieben soll. Und dann ist mir auch klar, dass ich Gott auch fürchten muss, denn mit der Gottesfurcht beginnt gemäß der Bibel das Erkennen Gottes und die Weisheit. 

Ich fürchte also Gott und ich fürchte auch Naturgewalten. Wo ist der Unterschied in der Furcht? Ein Sturm, ein Bergsturz oder ein Erdbeben nehmen auf nichts und niemanden Rücksicht. Blind und zerstörend wirken sie, ohne Rücksicht auf den Menschen zu nehmen. Im Gegensatz dazu ist Gottes Wirken nicht blind. Denn im  Handeln Gottes mit dem Menschen ist die Liebe des himmlischen Vaters zu erkennen. Hier stehen sich Mensch und Schöpfer gegenüber: der Vater und sein Kind. Und dieses Verhältnis soll für den Menschen auch mit Respekt verbunden sein, wie es einem Vater gebührt. 

Nimmt man die Summe der biblischen Aussagen zum Thema Respekt, dann erkennt man deutlich, dass mit Respekt oder Gottesfurcht die tiefe Beziehung zwischen Gott und Mensch erst beginnt, ja, dass Respekt die Voraussetzung für diese Beziehung ist und sie regelt. Im Text aus dem Buch “Sprüche” im zweiten Kapitel, Verse 1 bis 11 wird der Mensch aufgefordert, Weisheit zu suchen, um Gott zu erkennen und die Gottesfurcht zu begreifen. Denn Gott gibt Weisheit, Verständnis und EINSICHT. Dadurch öffnet er das Bewusstsein des Menschen für das gewaltige Wunder des Lebens. Und damit lässt er den Menschen begreifen, dass daraus das Glück wächst. Im zweiten Kapitel der “Sprüche” kommt deutlich Gottes Wunsch zum Ausdruck: Seine Gerechtigkeit soll den inneren Menschen beherrschen, denn das ist das eigentliche Leben! Und noch etwas hat sich in meinen Gedanken verfestigt: Ich weiß, dass mein Vater im Himmel mein Leben ist! Und ohne Achtung, Respekt und Liebe kann ich nicht mit ihm verbunden sein!

Respekt: Eine Metapher

Man trägt eine kostbare Vase, die unersetzlich ist. Wie würde man diese Vase tragen? Man braucht nicht viel Fantasie, um zu wissen, dass man äußerst vorsichtig und behutsam mit dieser Kostbarkeit umgehen muss. Man wird sich des hohen Wertes bewusst und wird das Gefäß vorsichtig, achtsam und vorausschauend tragen. Mit diesem Bild wurde in einem biblischen Wörterbuch die Gottesfurcht oder der Respekt vor Gott beschrieben. So sollte man mit dem Höchsten umgehen, so sollte man ihm begegnen! 

Im Gegensatz dazu ist es bei manchen Leuten üblich geworden, den allmächtigen und ewigen Herrscher, den unbeschreibbaren und unfassbaren Gott auf die Stufe eines privaten Kumpels herabzuziehen. Dadurch wird er als Dienstbote, als Wunscherfüller, als Unterstützer für private Geschäfte missbraucht. Das ist dann im Ergebnis Gotteslästerung. 

Wie lernt man Gottesfurcht?

“Ja, wenn du um Verstand betest und um  Einsicht flehst, 

wenn du sie suchst wie Silber, ihnen nachspürst wie einem wertvollen Schatz, 

dann wirst du die Ehrfurcht begreifen, die man vor Gott haben muss, 

und wirst anfangen, Gott zu erkennen.“ (Spr. 2:3-5)

Die Gottesfurcht ist also das Ergebnis eines Denkprozesses: Er wird angestoßen durch die Sehnsucht nach Gott und beginnt mit der Einsicht, dass man Gott braucht und dass ein sinnvolles, zielführendes Leben nur dann möglich ist, wenn Gott uns anleitet und unser gutes Streben fördert. Die Bibel benutzt auch die Formel, dass “Gott das Herz berührt”. Damit ist gemeint, dass herzliche, liebevolle Gefühle zu fließen beginnen. In diesem Prozess der Bewusstwerdung Gottes und dem Entstehen der Ehrfurcht vor ihm spielen also auch die Gefühle eine Rolle. Es ist der ganze Mensch eingebunden. So ist Gottesfurcht keine verstandesmäßige Fleißaufgabe, die durch Rituale ausgedrückt wird. Es ist eine Sache des inneren Menschen, eine Angelegenheit des Herzens und Ausdruck eines sinnvollen Lebens. 
Es gab und gibt immer wieder Menschen, die nach einer Irrfahrt im Leben plötzlich bemerkten, dass ihnen etwas Wichtiges fehlte. Entweder tauchte die Frage nach dem Sinn des Lebens auf oder sie stellten fest, dass sie vergessen oder verlernt hatten zu lieben. Dann kann es sein, dass man nach Gott fragt und ihn im Sinne der Aufforderung im Buch der Sprüche um Verständnis und Einsicht bittet. Ist dieses Verlangen ehrlich gemeint, dann wird Gott es stillen. Und dann kann es sein, dass Gott uns als Kind annimmt, als ein Kind, das in Ehrfurcht vor ihm steht.