Die leise Stimme


Seit ich aufgehört habe, mir auch nur irgendetwas als Verdienst anzurechnen, bin ich beim Wesentlichen angekommen. Die Einsicht, dass Gott lebt, da ist, immer war und immer sein wird, war für mich so radikal, dass es kein Zurück mehr gibt.

Und ich wäre vielleicht früher ans Ziel gekommen, wenn man mir nicht dauernd in meine Gedanken hinein geredet hätte, wenn man mir Zeit gelassen hätte. Aber jetzt habe ich genug von Schlagworten, die inhaltslos oder halbwahr sind. Ich mache nicht mehr mit bei stupiden Aktivitäten, die andere Leute anzetteln, weil sie sich zu wichtig nehmen. Mit anderen Worten: Ich habe den Religionsbetrieb meiner ehemaligen Gemeinschaft satt, der zu oft an der Liebe und an der Gerechtigkeit und am Menschen vorbei geht.

Die „leise, sanfte Stimme“ Gottes kann man nur in der Stille hören! Man hört sie nicht neben dem donnernden Wasserfall religiöser Propaganda, man hört sie nicht, wenn einem kein Raum zum Nachdenken gelassen wird und der religiöse Dialog sich auf ein „Frage und Antwort Spiel“ beschränkt, wenn sich vieles um religiöse Sonderlehren dreht. Man kann die leise Stimme nicht hören, wenn sie bewusst mit religiöser Aktivität überbrüllt wird.

Ich habe mich vom „Betrieb“ getrennt. Dadurch habe ich gewisse Menschen und ihre Anerkennung verloren – aber was soll es? Ich kann die Meinung anderer über mich nicht ändern. Gewiss, ich könnte heucheln und etwas vorspielen, was ich nicht bin. Aber das ist mir zu billig und auch zu unaufrichtig. Außerdem ist es nutzlos in Gottes Augen.

Seit ich den Allmächtigen „gesehen“ habe, kann ich nicht anders. Und ich will auch nicht anders, weil es meinem Gewissen widerspricht. Ich will auf meinen Gott warten und wissen, dass er an seiner Gerechtigkeit keine Abstriche machen wird. Der göttlichen Gerechtigkeit unterwerfe ich mich gern! Auf Barmherzigkeit und Gnade will ich hoffen und mich mit all meinem Sein auf das Opfer Jesu stützen, das allein mich vom Zorn Gottes bewahren kann. Nie mehr will ich zulassen, dass Vertrauen auf die eigene Leistung mich dazu verleitet mir einzubilden, dass ich „gut“ sei. Ich bin solange ein sündiger Mensch, bis Jehowah mir ein „neues Herz aus Fleisch und einen neuen Geist“ schenkt. (Hes. 36:26, 27)

Und weil ich die Menschen und ihre Welt immer weniger verstehe, will ich mich im Rest meines Lebens nur noch vom Geist Gottes leiten lassen. Seiner Liebe und seiner Fürsorge vertraue ich mich an. Ich habe keinen anderen Führer im Leben nötig, als Jesus Christus! So will ich versuchen, mit einem guten Gewissen, ungeheucheltem Glauben und aufrichtiger Liebe zu leben. (1.Tim. 1:5)

Ich habe auch keine „Freunde“ nötig, die mir angeblich gutwollen, weil sie ein bestimmtes Ziel erreichen wollen, das meinen Absichten und Einsichten widerspricht. Ich will nicht einem geschäftlich-religiösem Zweck dienen, sondern der wahrhaftigen Liebe. Ich will nicht gebraucht, sondern geliebt werden. Deswegen werde ich nie mehr zu dem zurückkehren, was man „Organisation“ nennt.

Nur die Bibel ist das Wort Gottes, und sonst nichts! Zusätze und Verfälschungen, die letztlich darauf hinaus laufen, die volle Bedeutung des Opfers Jesu zu verwässern, verabscheue ich. Ebenso verabscheue ich die Kombination aus „überhimmlischen Gedanken“ und „unterweltlichen Sitten“. Das alles will ich gerne hinter mich lassen. Dahin zurück sind alle Brücken zerstört.

Seit ich mir ansatzweise zu verdeutlichen suche, mit wem ich es zu tun habe, wenn ich „Jehowah!“ sage, kann ich nicht anders. Und darüber bin ich froh!

Als junger Mensch stieß ich auf die Forderung von Andreas Gryphius: „Mensch! Werde wesentlich!“. Nun schließt sich endlich der Kreis.

Ich habe diese Gedanken absichtlich wie ein Manifest formuliert. Ich würde sie gern an meine Haustür schreiben, damit alle meine Absicht und meinen Wunsch wahrnehmen können. Ich will deutlich machen: Es ist mir ernst damit!

Veröffentlicht von Tilo

Ein alter Mann, der lange Zeit ein Zeuge Jehovas war und dieser Kirche aus Gewissensgründen den Rücken kehrte. Heute stehe ich allen Kirchen misstrauisch gegenüber, denn glauben kann man nur allein. (amenuensor@aol.com)

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