Gedanken zur Bergpredigt

Vor fast 60 Jahren las ich ein Traktat von Antonius de Guevara (1490-1545), in dem es um die “Verdammung des Hof- und Landlebens” geht. Diese Worte haben mich auf eigenartige Weise berührt und nicht mehr losgelassen. In der damaligen Übersetzung ins Deutsche macht der Text nachdenklich, sofern man nicht rettungslos in diese Welt verliebt ist. Mein damaliger Eindruck hat sich mir bis heute bestätigt: Die Welt ist es nicht wert, geliebt zu werden! Warum auch? Warum sollte man die Welt lieben, wenn ein Mensch dies schreiben muss:

“Adieu Welt! Denn auf dich ist nicht zu trauen, noch von dir nichts zu hoffen: in deinem Haus ist das Vergangene schon verschwunden, das Gegenwärtige verschwindet uns unter den Händen, das Zukünftige hat nie angefangen, das Allermächtigste fällt, das Allerstärkste zerbricht und das Allerewigste ein nimmt ein End, also dass du ein Toter bist unter den Toten, und in hundert Jahren lässt du uns nicht eine Stunde leben.”?

Das ganze Traktat ist eine einzige leidenschaftliche Anklage gegen eine Welt, die Gott nicht kennt, die ihn vergessen hat. Autor und betroffener Leser haben dann nur noch einen Wunsch:

“O Welt! Du unreine Welt! Deshalb beschwöre ich dich, ich bitte dich, ich ersuche dich, ich ermahne dich und protestiere gegen dich, du wollest kein Teil mehr an mir haben. Und hingegen begehre ich auch nicht mehr, in dich zu hoffen, dann du weißt, dass ich mir hab vorgenommen, nämlich dies: Ich habe meinen Sorgen ein Ende gemacht, Hoffnung und Glück, lebet wohl!”

Die Bergpredigt und mein Leben
Aber so einfach ist die Sache für mich nicht! Ich lebe in der Welt und kann nicht als Einsiedler leben. Als Christ soll ich mein “Licht vor den Menschen leuchten lassen”. So sagte es Jesus in der Bergpredigt. Und das ist nicht weniger, als nach der Bergpredigt zu leben und trotzdem vom Schmutz der Welt unberührt und rein zu bleiben. Ich erinnere mich noch lebhaft an meine Gefühle, die ich hatte, als ich in jungen Jahren die Bergpredigt Jesu las. Mein Vorwissen war gering, aber eins war mir sicher: Hier schlägt das Herz der Bibel! Bei jedem Satz wusste ich: Das ist wahr! Das ist gerecht! Das stimmt mit mir selbst überein. Da regte sich in mir kein Widerstand; ich nahm die Rede einfach an und sah sie als die größte sittliche Wahrheit an, die es für den Menschen geben kann.

„Glücklich sind die Menschen, die wissen, wie arm sie vor Gott sind, denn ihnen gehört das Reich, das der Himmel regiert!“ (Mat. 5:3)

Über diese Worte habe ich erst spät nachgedacht. Und mit der Zeit erfuhr ich, was sie bedeuten können: Vor Gott arm zu sein bedeutet die Einsicht zu haben, dass nichts ohne Gott geht, denn nicht einmal der Glaube ist mir möglich, ohne dass Gott es will, ohne dass er seinen Geist, seine Kraft, dazu gibt. Ich kann nur mein Wollen geben, aber das Vollenden kommt von Gott. „Wenn Jehowah das Haus nicht baut, haben die Bauleute vergeblich daran gearbeitet.“, so nüchtern drückt es der Psalm 127 aus! Um das zu sehen, musste ich alt werden. In der Jugend war ich von meiner Kraft und meinen Fähigkeiten tief überzeugt. Doch das Leben lehrte mich anderes! Und heute weiß ich, dass man seine eigene Armut vor Gott einsehen muss, damit Gott uns überhaupt einen Platz in seinem Reich gewährt. Man muss sich als Mensch ganz klein machen und den dummen Stolz aufgeben, der uns einbläst, das eigene Glück immer selbst schaffen zu können und sich einzubilden, ohne Gott auskommen zu können. Das ist dann auch die Bescheidenheit, wie sie in Micha 6:8 erwähnt wird: bescheiden mit Gott zu wandeln, Freude an seiner Gerechtigkeit zu haben und Güte zu üben. Mit der Zeit der Reife kam auch die Einsicht, dass ich nicht alles wissen und verstehen kann; ich kann nicht in die Zukunft schauen; ich kann keinen Menschen wirklich verstehen und ich kann ohne Gottes Hilfe kaum das Gute vollbringen. Ich bin ein Mensch! Und ich bin ein sündiger Mensch! Ich bin arm! Wenn ich als Mensch wahrhaftig leben will, dann bin ich auf Gott angewiesen. Ich kann nicht ohne Gott leben! Darin also bestand meine Armut vor Gott!

Und die Bergpredigt Jesu hat mein Herz berührt und mich davon überzeugt, dass von dieser Welt wirklich nichts zu hoffen ist! Sie hat mich überzeugt, weil ich in meinem eigenen Leben und im Leben anderer Menschen die ganze Fragwürdigkeit und Hohlheit der Welt erfahren habe. Denn diese Welt betrügt jeden, der sich auf sie einlässt. Sie enttäuscht unsere Hoffnungen und betrügt uns um unser eigentliches Leben! Darum: „Adieu Welt!“

Veröffentlicht von Tilo

Ein alter Mann, der lange Zeit ein Zeuge Jehovas war und dieser Kirche aus Gewissensgründen den Rücken kehrte. Heute stehe ich allen Kirchen misstrauisch gegenüber, denn glauben kann man nur allein. (amenuensor@aol.com)

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