Gedanken zur Bergpredigt: Verzicht auf Gegenwehr und Feindesliebe

“Verzichtet auf Gegenwehr, wenn euch jemand Böses antut! Mehr noch: Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die linke hin.” (Mat. 5:39) Ich denke über diese Worte nach:

Wie geht das in einer Welt aus, die von Rücksichtslosigkeit, Gewaltbereitschaft, Hass und Habgier getrieben wird? Wird man nicht über mich lachen, wenn ich die ‘linke Wange’ auch noch hinhalte? Man wird sich an die Stirn tippen und mich für verrückt halten, um dann mit neuer sadistischer Freude auf mich einzuprügeln und mir das Letzte zu rauben. Darf ich so naiv sein? Soll ich mich wehren? Oder soll ich die Worte Jesu “symbolisch” auffassen? Das geht nicht! Es kann am Wahrheitsgehalt dieser Worte kein Zweifel aufkommen, denn es ist die Wahrheit Gottes, die auch in meinem Herzen ist. Ich hatte schon als Jugendlicher aufgrund eines frühen Kriegserlebnisses beschlossen, keine Gewalt gegen meine Mitmenschen anzuwenden. Deshalb wollte ich z. B. nie Soldat werden und habe es auch so gehalten. Jesus betonte, dass kein Teil des göttlichen Gesetzes unerfüllt bleiben würde; alles fände seine Erfüllung. Damit hat Jesus seine Bergpredigt als die Wahrheit Gottes bezeichnet. Und das glaube ich!

Hat die Gegenwehr für mich Folgen?
Was geschieht mit mir, wenn ich mich wehre, wenn ich einem Bösen Widerstand leiste und Gewalt mit Gewalt beantworte? Es besteht die Gefahr, dass ich mich auf sein erbärmliches Niveau herablasse! Ich mache mich ihm gleich. Ich ahme ihn nach, weil ich Gewalt mit Gewalt beantworte. Ich reagiere dann gottvergessen und fordere “Auge um Auge und Zahn um Zahn“. (Das steht so in der Bibel, aber das war kein Verhaltensmuster für die Juden, sondern nur eine Richtlinie für die Richter bei der Strafbemessung.) Ich stelle mich durch das falsche Verhalten auf die Seite des Teufels, der bekanntlich “ein Totschläger von Anfang an war”. Durch Gewaltanwendung verleugne ich den Menschensohn und enttäusche ihn und meinen Vater im Himmel. Dieses “Auge um Auge” hat Jesus ja verurteilt, weil es nur dazu führt, dass Krieg und Gewalt nie aufhören!

“Vergeltet niemandem Böses mit Bösem!”
Doch ein Jünger Jesu ist aufgefordert, Frieden zu stiften und ihn zu halten:
“Wie glücklich sind die, von denen Frieden ausgeht! Sie werden Kinder Gottes genannt.”
Das deckt sich mit den Aussagen der Apostel. Der Apostel Paulus schildert im 12. Kapitel des Briefes an die Römer das christliche Leben, das ein heiliges Opfer für Gott sein soll. Am Ende des Kapitels spricht er über Vergeltung und Rache:

“Vergeltet niemandem Böses mit Bösem! … Rächt euch nicht selbst, ihr Lieben, sondern lasst Raum für den Zorn Gottes! Denn in der Schrift steht: ‘Es ist meine Sache, das Unrecht zu rächen‘, sagt der Herr, ‘ich werde Vergeltung üben! Wenn dein Feind hungrig ist, gib ihm zu essen, wenn er durstig ist, gib ihm zu trinken! Denn wenn du das tust, wirst du ihn zutiefst beschämen (“feurige Kohlen auf sein Haupt häufen“). Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse stets mit dem Guten!’”

Wenn man die Konflikte dieser Welt sieht, weiß man, dass diese Worte in der Welt keinen Glauben gefunden haben. Das soll mich aber nicht daran hindern, sie für mich mit Leben zu erfüllen. Denn ich weiß, dass meine Macht begrenzt ist, dass ich das Böse nicht aus der Welt schaffen kann. Ich kann nur versuchen, es im privaten Bereich mit dem Guten zu besiegen. Und das kann dadurch möglich werden, wenn es mir gelingt, mit dem Feind zu reden, wenn es mir gelingt, ihn dadurch nachdenklich zu machen, dass ich ihn durch Gutes tun zur besseren Einsicht verhelfe. Das würde der Ausdruck “feurige Kohlen auf sein Haupt häufen” bedeuten. Ich kann ihm zeigen, dass ich ihn verstehen möchte. Denn auch mein Feind ist zuerst ein Mensch, mit dem ich viele Berührungspunkte habe. Auf die Gemeinsamkeiten zu bauen, Gemeinsamkeiten zu suchen, wäre eine gute Möglichkeit, um mit ihm ins Gespräch zu kommen. Und sollte es mir möglich sein, ihn umzustimmen, seine guten Gefühle und Gedanken zu wecken, dann hätte ich einen großen Sieg errungen! Und ich würde erleben, wie mächtig Gottes Geist sein kann! Dann hätten er und ich das Böse besiegt! Andernfalls würde mich das Böse besiegen und ich hätte mich nicht als ein Kind meines Vaters im Himmel erwiesen.

In der Bergpredigt bin ich aufgefordert, meinen “Feind” zu lieben. Das geht noch weit darüber hinaus, auf Gegenwehr zu verzichten:
“Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen. So erweist ihr euch als Kinder eures Vaters im Himmel.”

Diese Worte werden nicht gehört, werden nicht ernst genommen. Mittlerweile haben wir in der Welt eine Situation errecht, in der fast jeder gegen jeden ist. Da werden Friedensgebete an Gott gerichtet und es entsteht der Eindruck, dass der Frieden nur von Gott abhinge. Aber es ist anders! Friede ist unsere Verantwortung! Aber so lange diese Verantwortung immer hinter dem Egoismus zurückstehen muss, wird es nicht anders werden. Dann wird es bis zum bitteren Ende das sein, was schon immer war:

Die Welt ertrinkt im Blut
In dieser Welt haben die Worte Jesu aus der Bergpredigt kein Gehör gefunden. Nein, man liebt die Feinde nicht, man liebt den Mitmenschen nicht, man pflegt den Hass, man will kein Kind Gottes sein. In den täglichen Nachrichten und Reportagen schreit mir Rache, Vergeltung und Hass entgegen. Die Welt ist in einer Gewaltspirale gefangen, und man ahnt, wie es schrecklich endet. In der Offenbarung gibt es ein Bild dazu:
“Der dritte Engel goss seine Schale über die Flüsse und Quellen aus. Da wurde alles Wasser zu Blut, und ich hörte den Engel … sagen: ‘Gerecht bist du heiliger Gott, der da ist und schon immer war! Dein Gericht ist gerecht! Denn Blut hast du denen zu trinken gegeben, die das Blut deiner Heiligen und Propheten vergossen haben. Sie haben es nicht anders verdient!’” (Off. 16:4-6)

Die Welt ertrinkt im Blut! Und da ist kein Einlenken, keine Einsicht und kein Bedauern. Die Gewalt wird zur Orgie, der Krieg zum Alltag. Man rüstet alle Armeen mit immer teuflischeren Waffen aus, und bedenkt nicht, dass jeder, der eine Waffe auf einen anderen richtet, sie schließlich gegen sich selbst richtet! Es gibt ein grausiges Gesetz, dem sich kein Mensch entziehen kann: Was ein Mensch sät, das wird er ernten! Wer Krieg sät, kann nur Krieg ernten.

Ich habe mich aus diesem Wahnsinn verabschiedet. Ich habe mich umgedreht und mache nicht mehr mit. Frieden kann nur durch Umkehr zu Gott und seinem Gebot der Liebe kommen. “Es gibt keinen Frieden für den Gottlosen!”, so sagte es der Prophet Jesaja.

Ich habe mich umgedreht und sage zu mir: “Macht doch was ihr wollt! Aber wenn es geht, dann lasst mich in Ruhe!” Aber ich bin mir darüber im Klaren, dass ich nicht in Ruhe gelassen werde von Menschen, die vergessen haben, wozu sie geboren worden sind. Auch ich werde also mit betroffen sein, wenn Gewalt unsere Ordnung zerstört. Ich darf auf den Schutz Gottes hoffen, aber es kann auch sein, dass er es zulässt, dass ich u. U. mein Leben verliere. Das will ich dann als Erprobung meines Glaubens auffassen; dann will ich treu sein “bis in den Tod”. Dann will ich auch für meine Glaubensüberzeugung sterben. Denn ich weiß, dass ich als Christ dazu bereit sein muss. Auf jeden Fall will ich keine Gewalt in die Welt tragen, indem ich mit Gewalt auf die mir zugefügte Gewalt antworte. Bei mir soll die Gewalt enden!

Nun hört sich das alles vielleicht etwas großspurig an, aber ich möchte betonen, dass der persönliche Glaube an Gott, das völlige und uneingeschränkte Vertrauen zu ihm, genau das möglich machen sollte, was Treue zu Gott erfordern mag. Sagte Jesus nicht genau dies zu seinen Jüngern?
“Habt keine Angst vor denen, die den Leib töten, der Seele aber nichts anhaben können.” (Mat. 10:28)

Jesus weist darauf hin, dass Menschen keinen Einfluss auf das ewige Leben haben, das nur Gott gibt. Mit dem physischen Tod, den mir ein Mensch zufügen kann, ist seine Macht über mich schon zu Ende. Auf meine Auferstehung hat das gar keinen Einfluss!

Veröffentlicht von Tilo

Ein alter Mann, der lange Zeit ein Zeuge Jehovas war und dieser Kirche aus Gewissensgründen den Rücken kehrte. Heute stehe ich allen Kirchen misstrauisch gegenüber, denn glauben kann man nur allein. (amenuensor@aol.com)

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