Der Glaube stiftet Identität

Oder: Wie empfinde ich mich als Mensch?

Irgendwann im Leben eines Menschen stellt er sich die Frage: „Wer bin ich?“ Wir haben alle ein Gefühl dafür, dass wir als Menschen einzig sind und uns von anderen unterscheiden. Gleichzeitig aber bemerken wir, dass es neben dem Einzigartigen viele Ähnlichkeiten zu anderen gibt, die uns mit ihnen verbinden. Und doch bleibt ein Bereich, in dem wir ganz uns selbst gehören und einzig sind: Wir haben eine unverwechselbare Identität.

Zuerst war ich Kind in einer großen Familie. Sie formte mich und mein Selbstbild durch die Erziehung. Meine Eltern und Großeltern „produzierten“ in mancher Hinsicht meine Identität. Vieles, was ich heute noch schätze, geht auf ihren Einfluss zurück, aber auch manches, was ich später als unbrauchbar abgelegt habe.

Nach der Familie und ihren prägenden Einflüssen wurde ich Mitglied einer Religionsgemeinschaft. Fortan war sie mein Lebensmittelpunkt. Und sie stiftete mir eine neue Identität, wenn sie behauptete: „Wir haben die wahre Religion!“. Ich sah mich als Mensch, der sich religiös im Recht fühlte! Mein Denken und Handeln wurde davon bestimmt – und das war mitunter zum Schämen.

Die Suche nach neuer Identität

Nachdem ich mich zuerst innerlich vom Religionsbetrieb getrennt hatte, musste ich mich neu orientieren. Ich musste einsehen, dass ich bisher zum Teil fremde Identitäten hatte, denn weder die Familie, noch die Berufsgruppe, noch die Religionsgemeinschaft oder meine Nationalität konnten mir eine Identität geben, die in ihren Grundzügen Bestand haben konnte. Meine Erfahrung bestand in der beunruhigenden Feststellung, dass Identität keine statische Form hat; sie unterliegt immer irgendwelchen äußeren Einflüssen und ist veränderbar.

Welchen Einflüssen sollte ich mich öffnen, um meine eigentliche Mitte zu finden und zu bewahren? Alle Gemeinschaften wollen prägen, um ihre eigenen Ziele durchzusetzen. Da ist dann wenig Freiraum für eine persönliche Individualität, für mein eigentliches Ich, denn der Zweck ist das Maß aller Dinge geworden und verlangt Anpassungen, oft auch gegen die eigenen Interessen. In jeder Gemeinschaft besteht offen oder unterschwellig der Zwang zur Selbstoptimierung. Es geht daher nicht um die Frage „Wer bin ich?“, sondern um die Frage: „Wie muss ich sein, damit mich die Anderen mögen?“ Man muss sich zum Sklaven einer vorfabrizierten Denkweise von Menschen machen, um ihrem Anspruch gerecht zu werden. Man ist dann gezwungen, sich selbst zu verleugnen und seine Identität der Masse anzugleichen. So wird man u. U. zum Apparat, der nach den Wünschen und Vorstellungen einer korrupten Führung funktionieren soll. Ist das noch Identität, wie sie sich ein Mensch vorstellt, eine, die alle Talente, Freiheiten und Möglichkeiten des Individuums aufleben lässt, die alles Ererbte als Teil seines Selbst respektiert? Sie ist es nicht, denn sie ist nur noch ein Abziehbild, das einem aufgeklebt wurde.

Eine neue Identität finden – aber wie?

Die Menschen wollten sich immer irgendwo eine Identität leihen und überziehen, wie ein Kleid. Und es liegt auf der Hand, dass viele damit immer wieder in eine Identitätskrise geraten sind. Denn geliehene Identitäten sind eigentlich nur Kostüme, sie zeigen i. A. nicht den Kern des Menschen, das was er eigentlich ist und was seinem eigenen Wesen entspricht. Sie bieten nicht jene Identität, die wir suchen und in der wir unser eigentliches Selbst erblicken.

Ein Beispiel aus der Bibel soll zeigen, wie leicht Menschen sich mit einer fremden Identität ausstatten wollen: Der Apostel Paulus schrieb an die Korinther:

„Denn wenn einer sagt: ‚Ich halte mich an Paulus!’ ein anderer: ‚Ich stehe zu Apollos!’ – seid ihr da nicht genauso wie die anderen? … Deshalb schwärme niemand für einen Menschen, denn euch gehört doch alles: Paulus, Apollos, Kephas; euch gehört die ganze Welt, das Leben und der Tod, die Gegenwart und die Zukunft. Doch ihr gehört Christus und Christus gehört Gott.“ (1. Kor. 3:4, 21, 22)

Mit diesen Worten versucht der Apostel das falsche Denken seiner Geschwister zu korrigieren. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf Gott und seinen Sohn.

Was hat das für mich bedeutet?

Nachdem alle Versuche, meine wahre Identität von Menschen herzuleiten, gescheitert waren, musste ich einsehen, dass sie nur aus der Gottverbundenheit abgeleitet werden konnte. Denn wenn ich ein Leben im Sein Gottes leben will, dann kann nur das Sein Gottes mir Identität stiften! Ich bin doch in seinem „Bild und Gleichnis“ geschaffen worden! Ich soll doch ihm, dem Höchsten, ähnlich werden! Dazu bin ich doch Christ geworden und habe Zutritt zur Familie Gottes bekommen (Eph. 3:19). Durch die Verbindung zu Jesus Christus habe ich eine neue Geburt erlebt: „Doch allen, die ihn [Jesus] aufnahmen, die an seinen Namen glaubten, gab er das Recht, Kinder Gottes zu werden. Sie wurden das nicht auf Grund natürlicher Abstammung …, sondern durch eine Geburt aus Gott.“ (Joh. 1:12, 13)

Ein Kind Gottes zu sein hat also eine neue Identität zur Folge. Und wir werden durch Jesus und die Apostel darauf hingewiesen, was damit zusammenhängt: Ein neues Leben, ein Leben unter dem Einfluss der positiven, lenkenden Kraft des heiligen Geistes:

„Wenn ihr nun zusammen mit dem Messias zu einem neuen Menschen auferstanden seid,  dann richtet euch auch ganz nach dem aus, was oben ist, wo Christus, der Messias, sitzt; auf dem Ehrenplatz neben Gott. … Darum tötet alles, was zu eurer irdischen Natur gehört: sexuelle Unmoral, Schamlosigkeit, Leidenschaft, böse Lüste und Habgier, die Götzendienst ist. Diese Dinge ziehen Gottes Zorn nach sich. Auch ihr habt früher so gelebt, als ihr noch ganz vom Irdischen bestimmt wart. Doch jetzt müsst ihr solche Dinge wie Zorn, Wut, Bosheit, Beleidigungen und hässliche Redensarten aufgeben. So etwas darf nicht mehr über eure Lippen kommen. Hört auf, euch gegenseitig zu belügen, denn ihr habt doch den alten Menschen mit seinen Gewohnheiten ausgezogen und seid neue Menschen geworden, die ständig erneuert werden und so immer mehr dem Bild entsprechen, das der Schöpfer schon in euch sieht. Dann kommt es nicht mehr darauf an, ob ihr Juden oder Griechen, …, ob ihr Sklaven oder freie Bürger seid; entscheidend ist allein, ob Christus in uns lebt und alles wirkt.“ (Kol. 3:1-11)

Die neue Identität bedeutet für mich auch eine gewisse Unabhängigkeit von den Meinungen anderer Menschen. Die Abhängigkeit von Menschen kann dazu führen, dass ich meine Freiheit als Christ verliere, weil ich dann bestrebt bin, anderen zu gefallen, oder mich ihnen anzupassen. Ich gerate unter einen Gruppenzwang, der mich von meinem Ziel weit entfernen kann. Das habe ich einmal erlebt, und ich wünsche keine Wiederholung. Denn zuerst bin ich dem Schöpfer verantwortlich! Und ich darf nicht der Menge folgen, um Unrecht zu tun! (2. Mo. 23:1, 2)

Wenn Gott uns durch Christus eine neue, eine christliche Identität gibt, dann hat dies ungeheure Wirkungen: Denn unter dem Einfluss des Geistes Gottes gewinnt der einzelne Mensch seine Freiheit und seine Würde zurück. Unter dieser Wirkung kann der Mensch seine Talente, Fähigkeiten, seine ureigenen Anlagen frei entfalten. Sein Horizont weitet sich sogar bis in die Ewigkeit. Und ein neues Lebensgefühl erfüllt ihn und macht ihn glücklich. Er wird feststellen, dass alles, was Gott von ihm mit der Zeit erwartet, ganz genau seinen eigenen Wünschen und Wertvorstellungen entspricht. Er wird immer wieder zu sich selbst sagen, wenn er in der Bibel liest: „Ja, Vater! Das will ich, das sehne ich herbei, das erfüllt mich mit Freude, das ist gerecht und wahr!“

In diesem neuen Leben wird sich dann das bewahrheiten, was der Apostel Johannes beschrieb:

„Und wenn sich jemand zu Jesus als dem Sohn Gottes bekennt, dann lebt Gott in ihm und er in Gott. Wir haben jedenfalls erkannt, dass Gott uns liebt; und wir glauben an seine Liebe. Gott ist Liebe und wer in der Liebe lebt, der lebt in Gott und Gott lebt in ihm“. (1. Jo. 4:15, 16)

Dann lebt ein Mensch im Sein Gottes. Und daraus ergibt sich diese Konsequenz:

„Aber ihr seid ein ausgewähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliges Volk, das Gott selbst gehört. Er hat euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen, damit ihr verkündigt, wie unübertrefflich er ist.“ (1. Pe. 2:9)

Wer seine neue Identität findet, ist Priester seines Dienstes für Gott und König seines Lebens bis in alle Ewigkeit! Sein Leben soll ein heiliges, für Gott wohlgefälliges Opfer sein, das er als sein eigener  Priester Gott darbringt. (Rö. 12:1) In seinem neuen Leben ist er sein Souverän, der nur noch Gott durch Christus untersteht. Menschen beherrschen ihn in seinem Glaubensleben nun nicht mehr. Sein Gewissen gehört ihm ganz allein und er lässt es nicht mehr zu, dass es von Menschen verformt und korrumpiert wird. Er steht allein und in eigener Verantwortung vor Gott und hat nur noch einen Fürsprecher nötig: Jesus Christus.

Es ist ein alter Menschheitstraum, der durch die neue, christliche Identität in Erfüllung geht. Die Menschen haben immer das in sich gesucht, was sie glücklich macht, was ihnen in der Welt und im Leben Erfüllung und Sinn gibt.  Die Sinnsuche treibt sehr viele Menschen um, und wir sehen sie in Psychoseminaren und esoterischen Gruppen, wir finden sie in absonderlichen Religionsgemeinschaften, in Erweckungsbewegungen, in spiritistischen Zirkeln  und bei immer wieder neu erscheinenden Messiassen und Gurus aus Asien. Die Sehnsucht nach der eigenen Mitte, nach der eigenen Bestimmung, nach geistiger Heimat ist groß. Und da öffnet sich ein weites Betätigungsfeld für Betrüger aller Art. Ich habe mir so manches angeschaut und wende mich heute nur noch einem zu, der meine Sehnsucht wirklich stillt: Gott! Denn nur er ist frei von Berechnung, frei von Lüge und Willkür. Nur er kennt mich besser als ich mich selbst. Und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Gott nur den Wunsch hat, dass seine Liebe in mir an ihr Ziel gelangt. Damit das Wirklichkeit wird, tut er alles, was dazu nötig ist. Und er tut es ohne Hintergedanken. Er tastet meine Freiheit nicht an und wird mich nie für einen bösen Zweck gebrauchen. Er ist die Liebe in Person. Und aus meiner Erfahrung kann ich den Schluss ziehen: „Nur bei Gott wird meine Seele still!“ (Ps. 62:2)

Veröffentlicht von Tilo

Ein alter Mann, der lange Zeit ein Zeuge Jehovas war und dieser Kirche aus Gewissensgründen den Rücken kehrte. Heute stehe ich allen Kirchen misstrauisch gegenüber, denn glauben kann man nur allein. (amenuensor@aol.com)

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