„Jesus liebt dich!“

Es war vor 48 Jahren, als ich in Wiesbaden in die Teestube einer freireligiösen evangelischen Gemeinschaft geraten war. Ich trat ein, wurde von einem gleichaltrigen jungen Mann begrüßt und zum Teetrinken eingeladen. Es kam sehr schnell das Gespräch auf Jesus. Der junge Mann versuchte mir deutlich zu machen, dass mich Jesus liebe. Das war für mich nichts Neues, und so drehte sich unser Gespräch langsam im Kreis, denn ich wollte auf mehr hinaus. Von Zeit zu Zeit tauchte hinter meinem Gesprächspartner ein weiterer junger Mann auf, der sein langes Haar in der Mitte gescheitelt hatte und eine Brille mit kreisrunden Gläsern trug. Er erinnerte stark an John Lennon. Er hatte seine Handflächen zusammen gelegt, hielt sie vor seine Brust und  sagte bedeutungsvoll zu mir: „Jesus liebt dich!“

Irgendwie schien mir dieses „Jesus liebt dich!“ doch zu dürftig. Ich wollte auch darauf hinweisen, dass die Christusnachfolge darin besteht, moralisch einwandfrei zu leben. Davon wollte man nicht so viel wissen. „Glaube nur! Jesus liebt dich!“, war die stereotype Formel. Um diese Formel zu bekräftigen wurde Römer 10:9 sinngemäß zitiert: „Wenn du mit deinem Mund bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat, wirst du gerettet werden.“ Ich habe gegen die Wahrheit dieser Worte nichts zu sagen, aber ich sehe sie als Fundament des christlichen Glaubenshauses. Und das ganze „Haus“ umfasst ja auch das Ausleben dieses Glaubens. Der Glaube muss sich in einem Verhalten äußern, das Gott gefällt.

Der verkannte Jesus

Es gibt sehr viele unterschiedliche Meinungen über Jesus; die einen machen ihn zum höchsten Gott, andere zum alles verzeihenden Gutmenschen, der für alles Verständnis hat und nie den Eindruck erweckt, dass ihm irgendein Mensch nicht willkommen sein könnte. Wieder andere machen ihn zu einem diensthabenden Engel oder zu einem kleinen Kind. Aber wie hat sich Jesus selbst dargestellt, wenn es um Rechtschaffenheit und um die Pflicht zum „heiligen Leben“ geht?

In den Evangelien fällt mir immer wieder auf, wie deutlich er auf Rechtschaffenheit als Erfordernis für die Rettung hingewiesen hat. Natürlich sprach er vom Glauben, ohne den niemand gerettet werden kann, aber die Gerechtigkeit Gottes hat er doch nicht ausgeklammert! Er machte einen Unterschied zwischen den vielen Worten und Bekenntnissen und dem wirklichen Tun der Menschen:

„Wenn es um eure Gerechtigkeit nicht besser bestellt ist als bei den Gesetzeslehrern und Pharisäern, werdet ihr nie in das Reich kommen, das der Himmel regiert.“ (Mat. 5:20)

Die Gesetzeslehrer und die Pharisäer hatten zwar „gute Worte“, aber ihr Tun war abscheulich. Und diesen Widerspruch zwischen den Worten und den Taten hat Jesus verurteilt. Und es hört sich sehr hart an, wenn er auf die Nachricht, dass Pilatus einige Galiläer beim Opfern umbringen ließ und ihr Blut mit dem ihrer Opfer vermischte, sagte: „Meint ihr, diese Leute seien schlimmere Sünder gewesen als die anderen Galiläer, weil sie so grausam zu Tode kamen? Nein, sage ich euch; und wenn ihr eure Einstellung nicht ändert, werdet ihr alle ebenso umkommen!“. Solche Äußerungen Jesu gibt es viele. Und wir kommen um eine Tatsache nicht herum: Jesus ist ein mächtiger König, der Gericht üben wird! Darüber kann seine oft erwiesene Barmherzigkeit, sein Mitgefühl für Sünder und sein Verständnis für sie nicht hinwegtäuschen. Wie oft hat er wohl einem sündigen Menschen gesagt: „Sündige nicht mehr!“?

Ein König im Kampf gegen das Böse

Die Bibel sagt ausdrücklich, dass Jesus alle Macht im Himmel und auf Erden erhalten hat. Diese Macht wird er dazu gebrauchen, um die „Werke des Teufels“ zu beseitigen. Für seine Nachfolger gebraucht er seine Macht, um sie zu besseren Menschen zu formen:

„Denn ihr sollt den Herrn [Jesus Christus] mit eurem Leben ehren und ihn erfreuen mit allem, was ihr tut. Euer Leben wird dann als Frucht alle Art von guten Werken hervorbringen, und ihr werdet Gott immer besser verstehen. Und ihr werdet auch die herrliche Kraft Gottes an euch erfahren, damit ihr alles geduldig und standhaft ertragen könnt. Dann werdet ihr mit Freude dem Vater danken, dass er euch fähig gemacht hat, an dem Erbe teilzuhaben, das für sein heiliges Volk im Licht bestimmt ist. Er hat uns aus der Gewalt der Finsternis befreit und uns unter die Herrschaft seines lieben Sohnes gestellt. Ja, durch ihn unserem Herrn, wurden wir freigekauft, und durch ihn sind unsere Sünden vergeben.“ (Kol. 1:10-14)

Es ist klar, dass Jesus zuerst das Böse in uns besiegen will, bevor er dem Wirken Satans in dieser Welt ein Ende setzt. Dieses Wirken Jesu ist für mich der Beweis für seine Herrschaft über seine Nachfolger. Jesus erzieht seine Jünger zur Liebe und zu guten Werken und macht deutlich, dass seine Jünger weder an einem Lippenbekenntnis, noch an einer religiösen Form erkannt werden, sondern nur und einzig an der Liebe, die das Wohl des Nächsten und die Ehre Gottes sucht.

Ja, Jesus liebt mich. Das erkenne ich daran, dass er an mir wirkt und mich auf seine zartfühlende Art zum Besseren lenken will. Es kommt ihm nicht auf Worte an, auf Lippenbekenntnisse und Treueschwüre, aber er erwartet von mir mit Recht ein Verhalten, durch das Gott geehrt wird. Wer sich darauf einlässt, darf erwarten, ihn und seinen Vater im Himmel als Gäste bei sich zu haben:

„Wenn jemand mich liebt, wird er sich nach meinem Wort richten. Mein Vater wird ihn lieben, und wir werden kommen und bei  ihm wohnen.“ (Joh. 14:23)

Wenn ich über diese Zusage nachdenke, werden meine Augen feucht, dann entsteht ein Gefühl der Dankbarkeit. Und das Bewusstsein, geborgen und umsorgt zu sein, ergreift Besitz von mir. Diese Geborgenheit erfüllt mich mit Frieden. Ja, ich empfinde Frieden, wenn mich die Verhältnisse dieser Zeit bedrohen. Ich weiß, dass mein Leben in guten Händen ist. Ich bin zutiefst dankbar für das, was mein Bruder im Himmel, der Menschensohn, für mich wahr werden lässt.

Barmherzigkeit soll für mich kein Freibrief für die Sünde sein

Auch wenn Jesus an mir wirkt, besteht immer noch die Gefahr, das ich sündige, dass ich mich an der Gerechtigkeit Gottes vergehe. Dann bitte ich um Vergebung, und sie wird mir gewährt. Sie wird gewährt unter der Voraussetzung, dass ich mit meinem Sinn ein Sklave des Gesetzes Gottes sein will (Rö. 7:22). Gott erwartet von mir, sein Gesetz zu lieben und es tun zu wollen. Er erwartet mein ehrliches Bemühen, der Sünde zu widerstehen:

„Und ihr wisst, dass Jesus auf der Erde erschien, um die Sünden der Menschen wegzunehmen. Wer mit ihm verbunden lebt, der sündigt nicht bedenkenlos weiter. Wer gewohnheitsmäßig sündigt, hat ihn nie gesehen und begriffen, wer er ist. Meine Kinder, lasst euch doch von niemand verführen! Nur wer das Rechte tut, ist gerecht, und kann wie Christus vor Gott bestehen.“ (1. Joh. 3:5-7)

Das ist eine hohe Verantwortung für mich. Ich will sie wahrnehmen, weil ich Gott und seinen Sohn liebe. Ich will sie wahrnehmen, weil sie für mich die einzige Art ist wirklich zu leben! Ich sehe keinen anderen Sinn in meinem Leben. Und ich wünsche mir, dass Gott durch Jesus Christus in Geduld und mit Barmherzigkeit an mir wirkt und mich an das Ziel führt. Ich wünsche mit aller Aufrichtigkeit, dass die Liebe Gottes in mir an ihr Ziel gelangt! Auch das ist für mich Glaube. Und er soll sich immer in dem Bestreben äußern, die Gerechtigkeit Gottes zu suchen.

Wenn ich gesündigt habe, fühle ich Scham und bin zornig auf mich. Ich stehe dann vor dem Gerichtshof meines Gewissens und fühle mich unwürdig zu Gott zu beten. Und wenn ich dann beten kann, will ich nichts beschönigen, denn das hieße ja Gott zu belügen. Ich fühle mich als offenes Buch, in dem Gott lesen kann. Dann hoffe ich, dass er meine innere Wahrhaftigkeit akzeptiert und sie als Entschuldigung annimmt. „O Gott! Sei mir einem Sünder gnädig!“, das ist manchmal mein Stammeln.

Immer wieder beginne ich von vorn und denke an die göttliche Langmut, die auch in Jesus Christus ist. Ja, es ist mir bewusst: ich lebe durch die Barmherzigkeit! Und die Barmherzigkeit treibt mich an, nicht aufzugeben in meinem kleinen Kampf gegen die Sünde. Ich muss zum Begrifft „Sünde“ noch etwas anmerken: Es handelt sich nicht um die sogenannt großen Sünden, sondern um die vielen kleinen Vergehen im täglichen Leben. Vor den wirklich großen Sünden bin ich bewahrt worden, und das schreibe ich der Aufmerksamkeit Gottes und seines Sohnes zu. Ich kann es nicht anders sagen: Gott wacht über mich durch seinen Sohn Jesus Christus. Er bewahrt mich vor groben Sünden, denn mein Gebet ist wie das von David:

„Lass nicht zu, dass ich nach bösen Dingen verlange; dass ich mit schlechten Leuten böse Taten begehe; dass ich nach ihren Leckerbissen gierig bin!“ (Ps. 141:4)

Und ich bete darum, dass ich immer die Kraft und die Einsicht habe, auf die Stimme meines Gewissens zu hören:

„Wer kann schon merken, wie oft er versagt? Vergib mir auch die verborgene Schuld! Und halte mich vor dem Hochmut zurück, dass er nie über mich herrscht! Dann stehe ich ohne Tadel da und werde vor großem Unrecht bewahrt. Mögen die Worte, die ich sage und die Gedanken, die ich fasse, dir gefallen, Jehowah, mein Fels und mein Erlöser.“ (Ps. 19:12-15)

Während ich das so schreibe, fällt mir auf, dass so der Glaube wirkt. Der Glaube bewirkt, dass ich in dieser Welt nicht mir selbst überlassen bin. Ich bin nicht auf mich selbst angewiesen, wenn es um mein Leben geht. Ich habe mächtige Helfer im Himmel! Ich erfahre an mir selbst, wie es ist, wenn man sich durch den guten Geist Gottes führen und bestimmen lässt:

„Wer sich aber vom Geist Gottes bestimmen lässt, ist auf das ausgerichtet, was der Geist will. Was die menschliche Natur will, bringt den Tod, was aber der Geist will, bringt Leben und Frieden. … Wer  also von seiner eigenen Natur bestimmt ist, kann Gott nicht gefallen. … Denn wenn jemand diesen Geist von Christus nicht hat, gehört er auch nicht zu ihm.“ (Rö. 8:5-9)

Veröffentlicht von Tilo

Ein alter Mann, der lange Zeit ein Zeuge Jehovas war und dieser Kirche aus Gewissensgründen den Rücken kehrte. Heute stehe ich allen Kirchen misstrauisch gegenüber, denn glauben kann man nur allein. (amenuensor@aol.com)

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