Peterle Pornbacher
Der Friedhof im Dorf Tirol liegt neben der Kirche. Geht man durch die schmiedeeiserne Pforte, dann findet sich gleich links an der Mauer neben dem Tor eine kleine Tafel. Unscheinbar und bescheiden sieht sie aus. Sie kennzeichnet ein schlichtes Kindergrab. Hier wurde Peterle Pornbacher beerdigt. Das Geburtsdatum unterscheidet sich von Sterbedatum um genau einen Tag. Nur einen Tag lang hat Peterle geatmet, dann war das kurze Glück für die Eltern vorbei.
Womit haben sich die Eltern getröstet, die voller Zuversicht auf die Geburt ihres Kindes gewartet hatten? Wie kamen sie über das Unfassbare hinweg? Eine kleine Inschrift nennt eine Stelle aus der Bibel. Man liest: „Jer. 31:15-17“, nichts weiter. In der Bibel liest man dies:
„In Rama hört man Totenklage, bitteres Weinen. Rahel beweint ihre Kinder. Sie will sich nicht trösten über ihre Kinder, weil sie nicht mehr sind. So spricht Jehowah: Halte deine Stimme vom Weinen zurück und deine Augen von Tränen! Denn es gibt einen Lohn für deine Mühe, spricht Jehowah: Sie werden aus dem Land des Feindes zurückkehren; und Hoffnung ist da für deine Zukunft, spricht Jehowah, und deine Kinder werden in ihr Gebiet zurückkehren.“
Der frühe Verlust ihres Liebsten hat sie erschüttert, und für uns ist es wichtig, zu sehen, wie und womit sie sich trösten ließen. Sie haben ihren tiefen Schmerz Gott anvertraut. Darum zitierten sie aus der Bibel. Die Eltern glaubten also an die Auferstehung! Sie vertrauten darauf, dass sie ihr Söhnchen aus „dem Land des Feindes“ zurück erhalten würden. Sie trösteten sich nicht mit dem billigen, gedankenlosen Worten vom „Wiedersehen im Himmel“, die man auf vielen anderen Grabsteinen lesen kann. Auch in dieser Hinsicht scheint mir das kleine Grab des Peterle Pornbacher auf diesem Friedhof eine Ausnahme zu sein.
Die Totenklage aus Rama stammte aus einem Traum Jeremias. Der Prophet schildert diesen Traum in den Kapiteln 30 und 31. Als er erwacht war, stellte er fest: „Darüber wachte ich auf und sah mich um. Ich hatte wunderbar geschlafen.“ Im Traum wurde er durch eine Vorschau auf das Reich Gottes getröstet. Er sah die Befreiung der Menschen aus der Gefangenschaft der Sünde nach dem „Tag Gottes“ durch den „Diener David“ und die Wohltaten eines neuen Bundes, der die völlige Versöhnung des Menschen mit Gott möglich macht. Auch wenn diese Prophezeiung sich zuerst auf die Rückkehr der Juden aus der babylonischen Gefangenschaft bezog, spannt sie doch den Bogen viel weiter, denn der König David war schon lange tot und die Auferstehung und der neue Bund waren auch nach der Rückkehr der Juden noch in weiter Ferne. Erst durch Jesus Christus, die „Wurzel und den Spross Davids“ kann das alles Wirklichkeit werden. Der neue Bund macht erst die wirkliche Nähe zu Gott möglich, eine Nähe, die allein schon tröstet:
„Ich schreibe mein Gesetz in ihr Herz, ich lege es tief in sie hinein. So werde ich ihr Gott sein und sie mein Volk.“ (Jer. 31:33)
Das entspricht genau dem, was der Prophet Jesaja über das Reich Gottes und seine Bewohner geschrieben hat:
„Schon ehe sie rufen, gebe ich ihnen Antwort, während sie noch reden, erhöre ich sie.“ (Jes. 65:24)
Trost durch Gottverbundenheit
Der Trost, der aus der Gottverbundenheit kommt, ist kein billiger Trost, wie er gewöhnlich gespendet wird, wenn man sagt: „Es wird schon gut werden!“. Nein, der Trost Gottes hat eine feste Grundlage, denn er kommt vom Allmächtigen, der auch willens ist, uns zu helfen. Wer sich von Gott trösten lässt, mag nicht sofort sein Problem gelöst finden, aber er weiß, dass Gott auf jeden Fall hält, was er versprochen hat. Das hat immer Menschen bewegt, die bei Gott Trost suchten. So gab ein bedrängter Mensch seine Erfahrung mit dem Gott des Trostes wieder:
„War mir das Herz von Sorgen schwer, dann liebkoste dein Trost meine Seele.“ (Ps. 94:19)
Wieder ein anderer hat diese Feststellung getroffen:
„Mit deinem Rat leitest du mich und nimmst mich am Ende in Ehren auf. Wen habe ich im Himmel außer dir? Und neben dir wünsche ich mir nichts auf der Erde. Auch wenn ich Leib und Leben verliere, bleibt Gott doch mein Fels und mein Anteil für immer. … Doch ich bekenne: Die Gottesnähe tut mir gut! Ich fand meine Zuflucht bei Jehowah, dem Herrn. Nun will ich all deine Taten erzählen.“ (Ps. 73:24-28)
Der Trost Gottes kann wie die Sonne sein, die durch den Nebel der Traurigkeit bricht und ihn auflöst. Dann erblickt man ein weites Land, das Frieden trägt und Gerechtigkeit. Es ist das Land der Verheißung, als einzige Hoffnung, auch wenn man Leib und Leben verlieren sollte! Auch wenn das Schlimmste im Leben uns überfällt, sind wir nie allein; Gott bleibt unser Anteil, unser Vater für alle Zeit! Und das umfasst eine ganze Ewigkeit! Immer sind wir als seine Kinder unter seinem Blick und dürfen darauf hoffen, dass wir nicht nur durch seine spürbare Nähe getröstet werden, sondern auch seine Hilfe erfahren. So habe ich es immer wieder erlebt, und so lange ich lebe, wünsche ich mir diese tröstende und stärkende Nähe. In Gottes großer Liebe darf ich mich geborgen wissen!
Geduld
Bei allen Wechselfällen des Lebens sind wir oft genug ratlos, fühlen uns verlassen und hilflos, depressiv oder verzweifelt. Wir flehen um die Kraft des heiligen Geistes und sind manchmal nahe daran, aufzugeben. Warum geben wir nicht auf? Wir geben nicht auf, weil wir vertrauen, weil wir uns an Gott klammern und immer wieder um seine Hilfe bitten. Und dann stellen wir fest, dass kein Kampf endlos ist, dass Geduld und das Warten auf Gott sich zuletzt auszahlen. Wir werden auch feststellen, dass der Kampf uns im Glauben fester und sicherer gemacht hat, dass er uns als Schulung und Erziehung diente, dass wir damit in guter Gesellschaft waren:
„Nehmt euch die Propheten, die im Namen des Herrn gesprochen haben, als Beispiel. Wie standhaft haben sie ihre Leiden getragen. Ihr wisst ja, dass wir die glücklich preisen, die durchhalten. Von der Standhaftigkeit Hiobs habt ihr gehört und gesehen, wie der Herr ihn am Ende belohnt hat. Der Herr ist voller Mitgefühl und Erbarmen.“ (Jak. 5:10, 11)
Trost durch die innere Wahrnehmung Gottes
Im Buch der Psalmen finden wir die Gedanken und Gefühle von Menschen, die ihren Lebenssinn nur in der Gottesnähe finden konnten. Es gibt viele Äußerungen von verzweifelten Menschen, die sich mitunter im Leben allein gelassen und bedroht fühlten. Wir lesen Ausdrücke des größten Schmerzes, der Verzweiflung und der Ratlosigkeit. Das kommt einem vertraut vor und man erinnert sich an sein eigenes Leben, das nicht immer glatt und rund verlief, sondern auch seine schlimmen Tage hatte. Und da erkennt man sich in den Menschen der Psalmen wieder. Man ist mit ihren Schmerzen vertraut, aber auch mit dem Trost, der sie getröstet hat. Man fühlt sich in ihrer Gemeinschaft wohl, weil man durch ihre Augen auf Gottes Liebe schaut. Im Wesentlichen ist es die unbedingte Nähe zu Gott, auf die alles hinausläuft. Und Gott gestattet uns diese Nähe, wenn wir durch Jesus Christus Frieden mit ihm geschlossen haben. Dadurch werden wir „Hausgenossen Gottes“, die durch Jesus den freien Zugang zu Gott haben (Eph. 2:18, 19). Durch diese Familienzugehörigkeit sind wir geborgen, auch über den Tod hinaus! Wir müssen in einer bösen, gottfeindlichen Welt leben, wir werden „auf jede Weise bedrängt“ und erfahren doch immer wieder, dass wir gestärkt und getröstet werden:
„Von allen Seiten werden wir bedrängt, sind aber nicht erdrückt; wir sind oft ratlos, aber nicht mutlos, wir werden verfolgt, sind aber nicht verlassen, wir werden zu Boden geschlagen, und kommen doch nicht um.“ (2. Kor. 4:8, 9)
Das ist die Erfahrung von Menschen, die glauben und durch den Glauben mit Gott verbunden sind! Und wir sehen an ihnen, dass man Gott im eigenen Herzen erkennt, weil man die Liebe Gottes erfahren hat. Der Trost Gottes ist dann wie ein wärmender Mantel, ein bergender Arm, eine helfende Hand, ein stärkender Zuspruch, ein Streicheln und Liebkosen. Der Trost Gottes ist wie ein Sommermorgen, der uns mit tiefer Freude und Frieden erfüllt und man schließlich sagen kann:
„Nein, ich habe mich beruhigt, habe mich besänftigt. Wie ein Kind bei seiner Mutter, wie ein zufriedenes Kind bin ich geworden.“ (Ps. 131:2)
Alle Menschen wissen, dass sie sterben werden, aber nur wenige machen es sich bewusst. Zu denen, die es wissen wollten, gehörte der König David, der Gott bat: „Lass mich mein Ende erkennen und zeige mir das Maß meiner Tage, damit ich erkenne, wie vergänglich ich bin.“ (Ps. 39) Wer das wünscht, möchte wesentlich leben, möchte seine Zeit bewusst wahrnehmen. Als er seine Antwort bekommen hatte, war er erschüttert, sprachlos und traurig. Wie ging er mit der Tatsache seiner eigenen Vergänglichkeit um?
Der eigene Tod
Er stellte sich ganz bewusst auf die Seite eines Sünders, wie der Mann in einem Gleichnis Jesu, der sagte: „O Gott! Sei mir, einem Sünder gnädig!“ (Luk. 18:13) Kann ein glaubender Mensch etwas Wichtigeres in diesem Kontext sagen? Wer so spricht, will betonen, dass er schuldig ist, dass er sich seiner Schuld bewusst geworden ist und Gottes Barmherzigkeit braucht! Diese Schuld trieb David in die Arme Gottes, von dem er Barmherzigkeit und Trost erwartete. Und so wie David geht uns allen. Erwarten wir zuviel? Nein! Wie David kennen wir unseren Gott so gut, dass wir keine Bedenken haben, um Gnade zu bitten. Denn wir wissen mit dem Herzen, dass Gott es so will!
Und ich möchte auch zum Ausdruck bringen, dass ich im Gegensatz zu Gott nur Staub bin. Ich möchte betonen, dass ich den Tod als gerechten „Lohn der Sünde“ (Rö. 5:18, 21) sehe, als einen Lohn, den ich hinnehmen will. Und ich will ganz bewusst wissen, dass es aus dem Tod eine Befreiung gibt! Denn als ein Nachfolger Jesu habe ich die Worte meines himmlischen Bruders im Herzen verinnerlicht:
„Ja, ich versichere euch: Wer auf meine Botschaft hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben. Auf ihn kommt keine Verurteilung mehr zu; er hat den Schritt vom Tod ins Leben schon hinter sich.“ (Joh. 5:24)
Diese sichere Zusage Gottes wird immer wieder bekräftigt, wenn es u. a. heißt:
„Denn keiner von uns lebt für sich selbst und keiner von uns stirbt für sich selbst. Wenn wir leben, leben wir für den Herrn, und wenn wir sterben, gehören wir dem Herrn. Im Leben und im Tod gehören wir dem Herrn.“ (Rö. 14:7, 8)
„’Der Tod ist verschlungen vom Sieg.’ ‚Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo bleibt dein Stachel?’ Der Giftstachel des Todes ist die Sünde, … Doch Gott sei Dank! Durch Jesus Christus, unserem Herrn, gibt er uns den Sieg!“ (1. Kor. 15:55)
Und nun bin ich wieder am Grab vom Peterle. Seine Eltern sind bestimmt auch schon verstorben. Sie starben – so will ich annehmen – mit der Hoffnung auf eine Auferstehung von den Toten. Dann werden sie erleben, wie sich Gottes Barmherzigkeit anfühlt, wenn sie in der Ewigkeit leben und Gott auch ihre Tränen der Trauer getrocknet hat, wenn Gott alle Dinge neu macht!
Ich darf mich also freuen, so recht im Herzen freuen, dass Peterle Pornbacher, seine Eltern und alle, die ihre Hoffnung auf Gott gesetzt haben, den Tod überwinden, weil Jesus ihn besiegt hat! Das ist der wesentliche Trost während unserer jetzigen Lebenszeit!
„Und vom Thron Gottes her hörte ich eine laute Stimme rufen: ‚Jetzt ist Gottes Wohnung bei den Menschen. Unter ihnen wird er wohnen und sie werden alle seine Völker sein. Gott selbst wird als ihr Gott bei ihnen sein. Jede Träne wird er von ihren Augen abwischen. Es wird keinen Tod mehr geben und auch keine Traurigkeit, keine Klage, keinen Schmerz. Was früher war, ist für immer vorbei!’“ (Off. 21:3, 4)