“Du ließest uns viel Angst und Not erfahren. Du wirst uns wieder beleben, uns wieder hinaufbringen aus den Tiefen der Erde.” (Ps. 71:20)
Wer mit Gott leben will, muss bereit sein dafür zu leiden, weil er in einer gottfeindlichen Welt lebt. Seine Liebe zu Gott wird, solange er lebt, auf die Probe gestellt. Da sind ständige Versuchungen und Verlockungen, die immer wieder eine Entscheidung für Gott, für ein gutes Gewissen und für die Wahrheit erfordern. Und da sind Menschen und Mächte, die ihrerseits Ergebenheit fordern, die nur Gott gehören darf. Es ist ein Kampf gegen sich selbst und gegen eine ganze gottlose Welt, ein Kampf an verschiedenen Fronten.
Kann ein Mensch das? Ist er dazu fähig? Und hat er überhaupt die Kraft und den Mut dazu? Er muss jedenfalls dazu bereit sein! Das hat Jesus Christus von seinen Nachfolgern gefordert: Wer einen Turm baut, soll vorher die Kosten berechnen und sehen, ob er den Bau auch vollenden kann.
Gott liebt den nicht, der ängstlich und feige zurückweicht. Darum muss er lernen, Gott zu ‘sehen’ und ihn dann um Mut und Kraft zu bitten. Dann ist man im Kampf nicht allein und nicht ohne Hilfe! Diese Tatsache kann an vielen Leben abgelesen werden, die in Harmonie mit Gott geführt worden sind. Paulus erwähnt im Brief an die Hebräer (Kapitel 11) solche Leben. Und von allen kann er sagen, dass sie Gott an ihrer Seite hatten und daher siegen konnten! Auch diese Menschen waren oft mutlos, hatten Angst und keine Kraft. Aber sie konnten mit Gottes mächtiger Hilfe siegen!
Jeremia war einer von ihnen. Er war kein strahlender Held, sondern sah sich als ängstlichen Knaben, der sich gar nicht in der Lage fühlte, als Prophet zu dienen. Es kostete Gott ein wenig Überredung, ihn doch dazu zu bewegen, seine Botschaft zum Volk zu bringen. Von Anfang an war Gott bereit, ihm beizustehen, zu helfen und zu befreien. Das war auch bitter nötig, denn Jeremia hatte es mit einem Volk zu tun, das berechnend, falsch, hinterhältig, verlogen und gewalttätig war. Das alles hat Jeremia an sich erfahren müssen. Denn er hatte eine unangenehme Botschaft an das Volk der Juden. Kein Wunder also, dass er angefeindet wurde, weil er ihnen den Spiegel vorhielt und den lügnerischen falschen Schein vom “frommen Volk Gottes” zerstörte. Und darüber hinaus drohte er ihnen auch noch Gottes Gericht an.
Jeremias Leiden waren zahlreich: Er litt unter der weit verbreiteten Gesetzlosigkeit und darunter, dass er unter bundbrüchigen, mitleidlosen und gewalttätigen Menschen leben musste. Es ging ihm so, wie es allen Glaubenden geht: Sie haben ein empfindliches Gewissen, das unter der frechen Unmoral der Umgebung leidet. Gott öffnete ihm dazu auch noch die Augen, und so sah er, dass sogar seine Freunde und Verwandten ihn hassten. Er musste böse Misshandlungen ertragen, Spott und Verachtung. Er kam in akute Lebensgefahr, als die Fürsten Israels, die Priester und die Bürger von Anatot sein Leben bedrohten. Und immer wieder musste er die Schamlosigkeit und die Falschheit des Volkes ertragen. Dann waren da noch die falschen Propheten, die offen und schamlos den Worten Gottes widersprachen und Jeremia als Lügner hinstellen wollten.
Ich kann das alles nur andeuten und kann das Ausmaß der Verfolgung und des Kampfes nur ungefähr erahnen, denn ich habe das so nicht erlebt. Aber ich kann nachempfinden, warum Jeremia immer wieder verzweifelt war und sich hilfesuchend an seinen Gott wandte und klagte:
“Wehe mir, Mutter, dass du mich geboren hast! Jeder streitet und zankt mit mir, das ganze Land feindet mich an! Ich habe weder Geld verliehen, noch habe ich welches geborgt. Trotzdem verfluchen mich alle.” (Jer. 15:10)
“Warum musste ich den Mutterschoß verlassen? Um nichts als Elend und Kummer zu sehen? Um mein Leben in Schande zu beenden?” (Jer. 20:18)
Stellenweise steigert sich die Klage des Propheten zu scharfen Vorwürfen gegen Gott:
“Jehowah, du weißt alles, denk an mich und setze dich für mich ein! Nimm Rache an meinen Verfolgern! Nicht dass deine Langmut mich zugrunde gehen lässt! Du weißt doch, dass sie mich deinetwegen beschimpfen. … Deine Worte haben mich mit Glück und Freude erfüllt. Denn ich gehöre ja dir, Jehowah, allmächtiger Gott. Nie saß ich in fröhlicher Runde, nie scherzte ich mit. Von deiner Hand gepackt, saß ich allein, denn deine Erbitterung erfüllte auch mich. Warum hört mein Schmerz nicht auf? Warum schließt sich meine Wunde nicht? Warum will sie nicht heilen? Du hast mich enttäuscht, du bist für mich wie ein Bach, der im Sommer versiegt.” (Jer. 15:15-18)
“Jehowah, du hast mich betört und ich ließ mich betören. Du hast mich gepackt und überwältigt. Nun verspotten sie mich den ganzen Tag, alle lachen mich aus. Denn sooft ich den Mund auftue, muss ich schreien: “Verbrechen! Unterdrückung!” Nichts als täglich Spott und Hohn bringt mir das Wort Jehowahs.” (Jer. 20:7, 8)
Der Prophet möchte nicht mit Gott streiten, aber er hat so seine Zweifel, wenn er fragt, warum die Bösen so erfolgreich sind:
“Du bist gerecht, Jehowah, wie könnte ich nur mit dir streiten? Dennoch muss ich über das Recht mit dir reden. Warum haben die Bösen Erfolg? Weshalb können Abtrünnige sorglos sein? Du hast sie gepflanzt, und sie haben Wurzeln geschlagen; sie wachsen heran und bringen auch Frucht. … Wie lange soll das Land vertrocknen, das Grün auf den Feldern verdorren? … Denn sie sagen von mir: ‘Er wird unser Ende nicht sehen’”. (Jer. 12:1-4)
Die Antwort Gottes fällt für meine Begriffe überraschend aus. wenn er zu Jeremia sagte:
“Wenn du mit Fußgängern läufst und sie dich schon ermüden, wie willst du den Lauf gegen Pferde bestehen? Wenn du dich nur im Land des Friedens sicher fühlst, wie willst du dich dann im Jordandickicht verhalten?” (Jer. 12:5)
“Habe ich dich nicht zum Guten stark gemacht? Ich werde dafür sorgen, dass dein Feind dich anfleht, wenn er in Not und Bedrängnis gerät”. (Jer. 15:11)
“Wenn du umkehrst, nehme ich dich wieder an, dann darfst du mir wieder dienen. Wenn du deine Worte überlegst, und nicht mehr solchen Unsinn von dir gibst, dann darfst du wieder mein Mund sein. Sie müssen auf dich hören, aber du nicht auf sie.” (Jer. 15:19)
Ich empfinde die Reaktion Gottes als großartig und verständnisvoll! Er nimmt die Klagen zur Kenntnis, macht aber seinen Propheten auf die Notwendigkeit des Kampfes aufmerksam; ja er macht deutlich, dass der Kampf den Glauben stärkt und die Kraft wachsen lässt: “Wenn du mit Fußgängern läufst und sie dich schon ermüden, wie willst du den Lauf gegen Pferde bestehen?” So dient der Kampf schließlich dazu, den ‘Lauf gegen Pferde zu bestehen’. Und noch mehr: Er verzeiht das vorwurfsvolle Reden Jeremias und ist bereit, ihn weiter als Prophet dienen zu lassen, wenn er umkehrt und nicht mehr “solchen Unsinn” reden würde.
Und Gott erinnert Jeremia daran, dass er ihn ‘zum Guten stark gemacht’ habe. Gott hat seine Zusage eingehalten, als er seinem Propheten von Anfang an dies deutlich machte: “Habe keine Angst vor den Menschen, denn ich bin mit dir und beschütze dich.” (Jer. 1:8) Jeremia hat auch Trost dadurch erfahren, dass Gott die Rückkehr der Juden aus der Gefangenschaft in ihr Heimatland ankündigte. Und mehr noch: Der Prophet durfte weit in die Zukunft schauen und sehen, wie durch den Messias (“König David”) der neue Bund wirksam werden würde; er durfte einen Blick ins Reich Gottes werfen und den Untergang “Babylons” sehen.
“Ich bin mit dir”: Das kann die Angst nehmen; diese Zusage hat sich in Jeremias Leben erfüllt! Er wurde viele Male befreit und überlebte alle Misshandlungen, Demütigungen und Bedrohungen. Und er sah, wie Gottes Worte an die Nation in Erfüllung gingen, wie sich alles bewahrheitete, was er unter Gefahren für Leib und Leben dem Volk Israel prophezeit hatte. Jeremia erfuhr an sich selbst, wie Gott für treue Menschen eintreten kann. Das erfüllt auch mich mit Mut!
Hat Jeremia die Erfüllung der göttlichen Prophezeiungen mit innerer Genugtuung gesehen? Nein, glücklich gemacht hat es ihn nicht; er litt mit dem Volk, und er litt stark. Wenn man seine “Klagelieder” liest bekommt man einen guten Eindruck von seiner Trauer. Nun berichtet die jüdische Überlieferung, dass Jeremia in Ägypten von seinen Volksgenossen gesteinigt worden ist. Ob das stimmt, kann ich offenlassen. Tatsache ist, dass die Juden so manchen Propheten umgebracht haben. Jesus hat es bestätigt und ich erinnere mich an seine Worte: “Jerusalem, Jerusalem, die da steinigt die Propheten, und tötet, die zu ihr gesandt sind. “ (Luk. 13:34)
Bin ich betroffen, wenn so etwas geschieht? Bin ich im Glauben an Gottes Zusage erschüttert? Ich könnte es sein, wenn ich mir einbilde, als Glaubender immer unbeschadet aus dem Glaubenskampf hervorzugehen zu müssen. Darauf habe ich aber keinen Anspruch, ich habe nur die Zusage auf eine Auferstehung von den Toten! Ich kenne die Worte Jesu Christi, die er auch an mich richtet:
“Es werden noch manche Leiden auf dich zukommen. Der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis bringen, um euch auf die Probe zu stellen, … Hab keine Angst davor und bleibe mir treu, selbst wenn es dich das Leben kostet. Dann werde ich dir als Ehrenkranz das ewige Leben geben.”(Off. 2:10)
Damit will ich zufrieden sein! Ich gestehe meinem Vater im Himmel das Recht zu, mich auf die Probe zu stellen, denn ich denke, dass er nicht weniger als die volle Treue verdient. Und ich weiß, dass mein Vater im Himmel und sein Sohn die wahren Herren der Lage sind. Sie ‘werden alles neu machen’! Sie werden das Unrecht beseitigen und alle, die um ihres Glaubens willen verfolgt worden sind, mit dem ewigen Leben in Frieden, Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe segnen!