Nachtgedanken

Ich habe nur eine undeutliche Vorstellung von Naturgewalten. Ich meine, mir fehlt die ganz persönliche Erfahrung mit den gewaltigen Kräften, die in der Schöpfung wirksam sind. Sie müssen mir fremd sein, denn ich bin ein zerbrechlicher Mensch, der diesen gewaltigen Kräften machtlos gegenübersteht. Nur vom Rand her dringt es auf mich ein, wenn ich schreckliche Bilder von Naturkatastrophen sehe. Aber diese Bilder sind weit weg und außerdem durch meinen Sinn gefiltert, so dass das Gezeigte mir nicht wirklich nahe kommen kann. Aber ich kenne ein bestimmtes Gefühl, wenn ich z. B. am Ozean stehe, mit seiner gewaltigen Größe und Tiefe und seiner fast unendlichen Vielfalt des Lebens: Da kommt  ein Schauer über mich und das Gefühl der eigenen Kleinheit und Bedeutungslosigkeit. 

Ich begreife es nicht. Und das ist ja nur ein kleiner Teil der Schöpfung! Das Universum will ich gar nicht erst bemühen: Es ist alles so unfassbar und nicht zu beschreiben. So ist Gottes Macht! Im Buch “Hiob” lese ich:

“Von den Säumen seiner Wege hören wir nur ein Geflüster. Aber wer kann sagen, dass er den Donner seiner Macht versteht?”

Und Gott selbst? Und was bin ich? Bin ich überhaupt wahrnehmbar? Wie ein winziges, tanzendes Sonnenstäubchen schwirre ich für einen Augenblick durch die unendliche Zeit, um sofort wieder zu verschwinden. Wer nimmt mich wahr?

Diesen gewaltigen Gegensatz kann mein Verstand nicht fassen! Ich kann mir einen gewaltigeren Unterschied nicht denken, als den zwischen mir und Gott.

Ein Stäubchen und der Allmächtige: Wozu? Und doch: Ich weiß, dass er existiert!

Ich kenne die einfachsten Dinge in Gottes Schöpfung nicht wirklich. Aber mein Bewusstsein weiß, dass Gott ist! Auch das ist unbegreiflich, und doch keine Einbildung. Ich spüre Gott mit allem, was ich bin! Aber begreifen kann ich das nicht! Nur mein Bewusstsein ist durch seinen Geist mit ihm verbunden. Das ist das eigentliche Wunder meines Lebens! Es scheint, dass ich dafür gelebt habe. Sollte ich dafür gelebt haben, um Gott zu erfahren, ich, das Sonnenstäubchen? Welchen Grund sollte es dafür geben? Warum nimmt mein Bewusstsein Gott wahr, so wie es viele andere Dinge wahrnimmt? Weil ER es so will?

Ganz bestimmt, weil ER es so will! Das bedeutet für mich, dass der allmächtige Gott  auf der Suche nach mir war. Ja, so muss es sein, wenn man Gott und dem Leben einen Sinn zuschreiben will. Der Allmächtige und Unfassbare ist also in mein Leben gekommen! Es kam so, wie ER es gesagt hat:

“Ich wohne in der Höhe, in unnahbarer Heiligkeit, doch ich bin auch den Zerschlagenen nah, deren Geist niedergedrückt ist, und belebe den Geist dieser Gedemütigten neu, richte das Herz der Zerschlagenen auf.” (Jes. 57:15)

Nun kann ich  nicht mehr von ihm los! 

ER ist für mich das Ein und das Alles geworden. Es ist mir unmöglich Gott zu vergessen. Man kann auch die Sonne nicht vergessen. Man kann ihn nur verlassen, aber das will ich nicht. Zu stark ist die Kraft, die mich hält: Die Liebe.

Was ist Gottes Liebe für mich? Sie bedeutet, im äußeren und inneren Kosmos nicht allein zu sein! Das ist Heimat, zu-Hause-sein; es ist Schutz und Trost und Hilfe. Es ist auch Geborgenheit und Verständnis! Sie ist alles! 

Dafür habe ich – ein Sonnenstäubchen – gelebt. Und so wie ich Gott gesehen habe, sehe ich auch das Leben in der ewigen Zeit. Die Knechtschaft der Zeit wird aufgehoben sein. Dafür habe ich gelebt! Dafür bin ich zutiefst dankbar!

Veröffentlicht von Tilo

Ein alter Mann, der lange Zeit ein Zeuge Jehovas war und dieser Kirche aus Gewissensgründen den Rücken kehrte. Heute stehe ich allen Kirchen misstrauisch gegenüber, denn glauben kann man nur allein. (amenuensor@aol.com)

%d Bloggern gefällt das: