„Geh deinen Weg bis zum Ende!“

Am letzten Tag dieses Sommers ist mein alter Freund Dieter R. gestorben! Wir kannten uns über 50 Jahre, und er war mir vertraut geworden, wie es unter Freunden möglich ist. Nun wird es langsam einsam um mich – und allmählich sehe ich auch mein Ende und weiß: Das Lied ist gesungen, der letzte Ton verklungen, der Vorhang fällt. Und ich muss mich entschließen, den ersten Schritt von der Bühne zu machen? Ja, daran muss ich denken! Der überraschende Tod meines Freundes hat es mir wieder ins Bewusstsein gerückt.  Was mein Freund glaubte, glaube auch ich: Der Tod hat den Sieg nicht errungen! Er ist vom Leben, von Jesus Christus, besiegt worden.  

__________________

“Aber du, geh deinen Weg bis zum Ende! Du wirst dich zur Ruhe legen und am Ende der Zeit auferstehen, um dein Erbe in Empfang zu nehmen.” 

(Da. 12:13)

Das sagte der Logos*, das Wort Gottes, zu Daniel! Ein langes Leben lang wurde der Prophet durch den Logos begleitet. In  vielen Situationen seines Lebens gab der ihm Einsicht, löste Geheimnisse auf und gab ihm Mut und Beistand in gefährlichen Lagen. Nach dem abschließenden Ausblick auf die Zukunft, auf die Zeit des Endes dieser Welt (Da. 11:40-12:12), fordert er den Propheten auf, seinen Weg bis zum Ende zu gehen. Und er denkt daran, was er auch zum Propheten gesagt hat: 

“Viele Menschen werden geprüft, gereinigt und geläutert werden. Die Gottlosen werden weiter gottlos handeln, aber von ihnen wird es niemand verstehen.” (12:10)

Der alte Daniel, er war schon über die achtzig hinaus, wurde durch diese Worte daran erinnert, dass nur Treue bis zum Tod bedeutet, seinen Weg zu Ende zu gehen. Es wurde ihm gesagt, dass der Tod unausweichlich ist, aber im gleichen Satz ist auch die Tatsache der Auferstehung enthalten. Das ist das Erbe, auf das auch Daniel wartete. Für ihn ging es fortan nur noch um die Frage: Wie geht man seinen Weg zu Ende? Und ich frage mich: Wie geht man ihn, wenn im Alter die Kraft nachlässt, man eine niederdrückende Müdigkeit spürt und sich nur noch nach Ruhe sehnt? 

Doch gleichgültig, wie alt man ist: Gott die Treue zu halten, ist die eigentliche Aufgabe. Hat der Prophet das nicht schon immer getan? Doch! Denn es gibt in der Gottverbundenheit keine Pause, darum lautet der Befehl: “Geh deinen Weg bis zum Ende!” In diesen Worten liegt auch ein starker Trost, denn sie beinhalten eine Verheißung auf das Erbe, das auf treue Menschen wartet. 

David wollte es wissen

Im Psalm 39 beschreibt David, wie es auf ihn wirkte, als er sich klar machen wollte, wie vergänglich er war. Als er wusste, dass er  nur ein Hauch war, sagte er:

“Wie ein Schatten geht der Mensch dahin, macht viel Lärm um Kleinigkeiten. Was habe ich da noch zu hoffen, Herr? Ich setze meine Hoffnung auf dich! Befreie mich von all meiner Schuld … 

Ich bin jetzt still, mache den Mund nicht mehr auf, denn du bist es, der alles getan hat.

Nimm diese Plage von mir, denn ich vergehe von der Wucht deiner Hand.

Mit Strafen für Schuld schlägst du den Mann, 

zerstörst seine Schönheit wie Motten das Kleid. 

Nur ein Hauch ist jeder Mensch.

Höre mein Gebet, Jehowah! Achte auf mein Schreien! Schweige nicht zu meinen Tränen!

Ich bin doch nur ein Gast bei dir, ein Fremder wie alle meine Väter. Schau von mir weg, damit ich aufatmen kann, bevor ich gehen muss und nicht mehr bin.” 

Der König war betroffen und drückte seine Bestürzung mit der Bitte aus: “Schau von mir weg, damit ich aufatmen kann”. Er wollte nicht zu oft daran denken, wie unbedeutend und wie vergänglich er eigentlich war. 

Hiskia hat es erfahren

Der König Hiskia stand noch mitten im Leben (er war ca. 40 Jahre alt), als er vom Propheten Jesaja gesagt bekam, dass er seine Krankheit nicht überleben würde. Seine Verzweiflung brachte er in einem Psalm zum Ausdruck:

“Mein Leben ist wie ein Nomadenzelt, das abgebrochen und weggetragen wird.

Wie ein Weber sein Tuch, habe ich mein Leben zu Ende gewebt.

Nun schneidet er mich vom Kettgarn los.

Noch ehe der Tag zur Nacht wird, machst du ein Ende mit mir.

Ich schrie um Hilfe bis zum Morgen,

doch wie ein Löwe zerbrach er all mein Gebein.

Noch ehe der Tag zur Nacht wird, machst du ein Ende mit mir.

Meine Stimme piepst wie eine Schwalbe, sie krächzt wie ein Kranich.

Wie Taubengurren klingt meine Klage.

Mit müden Augen starre ich nach oben. O Herr, ich bin am Ende!

Tritt du als Bürge für mich ein!

Was soll ich nun reden? Er hat getan, was er mir angekündigt hat.

Ich verbringe meine Jahre in bitterem Leid.” 

(Jes. 38:12-15)

Durch seine Krankheit und den drohenden Tod empfand Hiskia nicht nur sein eigenes Verhängnis, sondern auch die große Tragik des menschlichen Lebens im Allgemeinen. Denn der Mensch trägt ‘die ewige Zeit im Herzen’. Das ist die Sehnsucht nach Dauer, nach Ewigkeit. Und doch weiß er, dass er sterben muss, dass er Gottes Urteil nicht aufheben kann. Da dröhnt es wie ein Donnerschlag: “Am Tode führt kein Weg vorbei!” Er ist die konsequente Folge seines gefallenen Zustands. 

An Hiskias Reaktion bemerke ich die Verzweiflung. Und bin ich nicht auch in derselben Lage? Was unterscheidet mich von Daniel, David und HIskia? Im Hinblick auf den eigenen Tod gar nichts! Da wird man ganz still und schaut nach oben, auf Gott, und hat nur noch den einen Wunsch: “Tritt du als Bürge für mich ein!” Denn ich bin am Ende – und das schon von Anfang an. 

Es ist ja nicht nur das Wissen um die eigene Vergänglichkeit, was dem Leben einen ersten, oft traurigen Hintergrund gibt: Mein Gott und mein Vater hat mich in das Trauerhaus geschickt, um ‘das Herz zu bessern’ (Pre. 7:1, 2). Denn unter dem Wissen vom Tod wird alles fragwürdig, was man im Leben tun kann. Es ist und bleibt so, wie es der Prediger Salomo schrieb: Weil wir sterben müssen, ist alles nichtig und ein Haschen nach Wind, weil am Ende der Tod steht und alles, auch alles, sinnlos und leer macht! Diese Einsicht bildet die leise Hintergrundmelodie des Lebens, die, wenn ein lieber Mensch uns wegstirbt, zum dröhnenden Orgelton wird. Es ist die große Trauer, die über allem liegt, und die ich selbst in den schönsten Freuden des Lebens nur selten vergessen konnte. Der Tod erinnert mich ständig an das, was der Mensch verloren hat und wohin ich zurück will! Da werde ich demütig vor Gott, weil ich die Tragik verstehe, die unser Leben noch beherrscht. Ja, der Gedanke an den eigenen Tod treibt mich in die Arme Gottes und macht mich bereit, seine Rettung anzunehmen. 

Ich habe eine tiefe Sehnsucht nach Gott, nach seiner Gerechtigkeit und seinem gewaltigen Frieden. Ich wünsche mir für jeden das wirkliche Leben, das ihn aus einer Welt befreit, die durch ihr Tun und Denken nur den Tod verherrlicht und das Töten und Morden zum Tagesgeschäft gemacht hat, die mit Hass und Gewalt das Leben zur Hölle macht. Ich wünsche mir für alle, die die Gerechtigkeit Gottes suchen, den Frieden mit Gott und das, was daraus folgt: Das wahre Leben, diese heilige Flamme, das Wunder Gottes, das für die Ewigkeit gemacht ist! 

Im Evangelium des Lieblingsjüngers Johannes lese ich im Kapitel 5 diese Worte aus dem Mund des Logos: 

“Ja, ich versichere euch: Wer auf meine Botschaft hört und dem glaubt, 

der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben.

Auf ihn kommt keine Verurteilung mehr zu;

er hat den Schritt vom Tod zum Leben schon hinter sich.”

Das ist die Symphonie der Hoffnung! Das ist Gottes Versprechen, mit dem die Bitternis des Todes verschwindet. Auch das versuche ich mir ins Herz zu brennen, um die Melodie des Todes zu übertönen. Durch diese Zusicherung öffnet sich das gewaltige Tor zum Leben und helles Licht überstrahlt die Dunkelheit des Todes und ich sehe das messianische Morgenrot! Jesus tritt als Bürge für mich ein! Er hat den Tod besiegt – und ich bin getröstet! 

Was bedeutet es, seinen Weg bis zum Ende zu gehen? Das kann nur bedeuten, sich bis zum letzten Tag mit einem guten Gewissen ganz in Gottes Hand zu geben und alles, was geschehen mag, mit den Augen des Glaubens zu sehen und niemals im Vertrauen auf Gott und seinen Sohn wankend zu werden. Dieses Vertrauen ist mein Leben! Das ist alles, was mir dazu einfällt. Aber das Ziel erreiche ich nur mit der Kraft und der Barmherzigkeit Gottes. Darum lautet mein Gebet: 

“Bei dir, Jehowah, bin ich geborgen, da werde ich niemals enttäuscht!

Sei mir ein schützender Fels, die rettende Burg, zu der ich immer kommen kann.

Denn du bist meine Hoffnung, Jehowah, mein Herr, 

meine Zuversicht von meiner Jugend an.

Verwirf mich nicht in der Zeit des Alters, verlass mich nicht beim Schwinden meiner Kraft.” (aus Psalm 71)

  • Anmerkung zum Logos: Als der Prophet Daniel seine Botschaft erhielt, sprach ein “Mann” zu ihm in einer Vision: Da. 10:5. Dieser “Mann” gleicht in der Beschreibung auffallend dem Bild, mit dem der verherrlichte Jesus in der Offenbarung beschrieben wird: Off. 1:12-15. Im Verlauf der Prophezeiung Daniels wird noch zweimal der Hinweis auf das Aussehen des Sprechers mit dem Ausdruck “Mensch”, “vom Aussehen wie ein Mensch” bzw. “Menschensohn” (Da. 10:16, 18) beschrieben. Interessant ist auch die Aussage, dass der Sprecher Beistand vom Engel Michael erhalten hatte, während der Sprecher selbst nicht als Engel bezeichnet wird. Weil der Geist Jesu in den Propheten wirksam war (1. Pe. 1:11), neige ich dazu in Daniel 10 und die folgenden Kapitel den Logos (Jesus Christus gemäß Joh. 1:1) zu sehen. Ich gehe davon aus, dass Jesus vom Himmel aus mit Daniel in  einer Vision sprach.

Veröffentlicht von Tilo

Ein alter Mann, der lange Zeit ein Zeuge Jehovas war und dieser Kirche aus Gewissensgründen den Rücken kehrte. Heute stehe ich allen Kirchen misstrauisch gegenüber, denn glauben kann man nur allein. (amenuensor@aol.com)

%d Bloggern gefällt das: