Was uns groß macht: Barmherzigkeit
Eine der ergreifendsten Eigenschaften des Menschen ist die Barmherzigkeit. Sie ist die Königsdisziplin der Liebe und damit des Christseins überhaupt. Mit ihr steht oder fällt das eigentlich Menschliche. Das deutsche Wort Barmherzigkeit leitet sich aus dem Althochdeutschen ab und bedeutet “ein Herz für die Armen zu haben”. Sie ist etwas anderes als Mitleid, das ein Gefühl ist, während Barmherzigkeit mehr eine starke, innere Betroffenheit ist, die sich aktiv in deiner entsprechenden Hilfeleistung äußert. Sie richtet sich ganz auf das Wohl dessen, der Barmherzigkeit braucht. Sie kann nicht unbeteiligt und gleichgültig am Nächsten vorübergehen, wie es Priester und Levit im Gleichnis vom barmherzigen Samariter getan haben. Barmherzige Menschen werden vom Herzen her dazu gedrängt, anderen Hilfe zu leisten. Es ist Teil ihres Wesens geworden.
Der Barmherzige weiß, dass er selbst Barmherzigkeit braucht. Er braucht sie zuerst von seinem Schöpfer, weil er ohne Gott nicht leben will und kann. Und er braucht die Vergebung seiner Schuld. Der Stolze und Herzlose wird es kaum einsehen. Er ist von sich zu sehr überzeugt und meint zu oft, dass alle anderen Sünder sind, nur er nicht. Diese Haltung ist oft unter denen verbreitet, die einer Kirche angehören, die sehr viel Wert auf “Rechtgläubigkeit” legt. Hier wird eine Haltung gezüchtet, die dazu erzieht, über andere schlecht zu denken und hart über sie zu urteilen. Es ist der Stolz der angeblich Guten.
Die Pharisäer waren solche Menschen. Das brachte Jesus durch ein kleines Gleichnis zum Ausdruck, als er zwei Männer beschrieb, die im Tempel waren, um zu beten. Der eine war ein Pharisäer, der andere ein Steuereinnehmer, der in der jüdischen Bevölkerung einen sehr schlechten Ruf hatte. Der Pharisäer bedankte sich bei Gott dafür, dass er nicht so war, wie die anderen Menschen, wie die Räuber, Ehebrecher und Betrüger – oder wie der Steuereinnehmer, der in seiner Nähe war. Der Steuereinnehmer aber wagte nicht einmal, sein Gesicht zu erheben und sagte nur: “Gott! Sei mir gnädig! Ich bin ein Sünder.“ Und Jesus schloss dieses Gleichnis mit den Worten: “Dieser Mann wurde von Gott für unschuldig erklärt, der anderen nicht.” (Luk. 18:10-14)
Für die Pharisäer waren einfache Menschen, die keine besondere “theologische” Bildung hatten und den einfachen, schlichten und ehrlichen Glauben an Gott lebten, ohne viel Aufhebens davon zu machen, nur “verfluchte Leute”. Und ich deutete es schon an, dass auch andere Religionen solche schlimmen Blüten treiben. Dabei muss auch die Frage erlaubt sein, ob hier eine wesentliche Ursache für den schlimmen Zustand dieser Welt liegt.
Und weil diese Menschen so ohne Barmherzigkeit waren, hat Jesus sie hart verurteilt, wenn er sie als “Schlangenbrut”, als Kinder des Teufels, bezeichnet hat, auf die eine Verurteilung zum ewigen Tod wartet.
“Mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird euch gemessen werden!” (Mat. 7:2) Das war eine deutliche Warnung dessen, der einmal als Richter über die Menschen amten wird. “Denn das Gericht wird erbarmungslos mit dem verfahren, der kein Erbarmen gezeigt hat.” (Jak. 2:13) Das bedeutet, dass nur der Mensch Barmherzigkeit erwarten darf, der selbst barmherzig war!
“Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer” (Hos. 6:6)
Das hat Jesus mehrmals seinen Zuhörern gesagt, besonders den Pharisäern, die stolz darauf waren, das Gesetz Gottes in ihrem Leben anzuwenden. Dabei muss gesagt werden, dass es sich bei ihrer Art der Gerechtigkeit nicht um die Gottes handelte, sondern um Menschengebote, durch die das göttliche Gesetz verfälscht worden ist. Natürlich haben sie im Tempel ihre Opfer gebracht und lange Gebete gesprochen, aber ohne Barmherzigkeit war es sinnlos! Darum hat Jesus den Propheten Hosea zitiert und gesagt: “Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer!” Damit war Gottes Haltung deutlich zum Ausdruck gebracht worden, aber die Unbarmherzigen versuchten danach, den Messias umzubringen. Gerwalt war ihre beliebte Antwort auf die Wahrheit, der sie nichts entgegensetzen konnten.
Die göttliche Barmherzigkeit ist eine Gnade!
Die Barmherzigkeit Gottes ist eine Gnade, ein Geschenk an Sünder, das dazu führen soll, Gottes Gerechtigkeit und seine Heiligkeit zu suchen und auszuleben. Barmherzigkeit soll wie ein segensreicher Regen sein, der die Frucht des göttlichen Geistes, also alles Gute, im Menschen wachsen lässt. Darin will ich Grund und Zweck der Barmherzigkeit Gottes sehen. Und ich betone ausdrücklich, dass Gottes Barmherzigkeit das Gute für mich will! Damit will mich Gott zur Gerechtigkeit, zum Frieden, zur Wahrhaftigkeit und zur Gottesfurcht führen. Damit ist Barmherzigkeit viel, viel mehr, als nur von der Strafe für Sünden abzusehen. Sie ist eigentlich der Weg zur Befreiung aus unserer Verstrickung in Sünde und Tod.
Das Grundproblem des Apostels Paulus (Römer 7:14-25)
Im Brief an die Römer kommt der Apostel Paulus auf sein eigenes Problem zu sprechen, und wir merken rasch, dass es auch unser Problem ist. Deutlich sagt der Apostel von sich, dass er nicht immer das tut, was gerecht und gut ist, sondern das, was schlecht ist. Und er stellt fest, dass in ihm das “Gesetz der Sünde” wirkt, dass er das tut, was er eigentlich nicht will. Mit dem Herzen beschreibt er sich als einen Sklaven der Gerechtigkeit, aber sein Körper ist ein Sklave der Sünde. Und er stellt die Frage, wer ihn aus diesem Dilemma befreien könnte. Seine Antwort ist klar: Das kann nur Gott durch das Opfer Jesu. Und damit sagt er auch klar, dass er die Barmherzigkeit unbedingt brauchte, um Frieden mit Gott zu haben, um vom Tod befreit zu werden und durch Liebe ein glückliches Leben führen zu können. Und nur die Barmherzigkeit Gottes hat ihm diese Gnadengabe zugänglich gemacht!
Viele andere Menschen werden diese Erfahrung auch gemacht haben. Im Buch Hiob wird ein Sünder beschrieben, der durch seine bösen Taten an den Rand des Grabes gebracht worden ist. Als er durch seine Leiden und durch die Gewissensqual zur Besinnung kam, wurde ein “Lösegeld” für ihn gefunden:
“Dann fleht er zu Gott, und dieser nimmt ihn gnädig an; er darf sein Angesicht mit Jubel schauen, und dieser gibt dem Menschen seine Gerechtigkeit wieder.” (Hiob 33:26)
Dann jubelt er und sagt:
“Ich hatte gesündigt und das Recht verdreht, und er hat es mir nicht vergolten. Er hat mich erlöst vor dem Abstieg ins Grab, und mein Leben schaut das Licht. Ja, das alles tut Gott zwei- und dreimal mit dem Mann, um sein Leben vom Grab abzuwenden, dass das Licht des Lebens ihm leuchte.” (Hiob 33:27-30)
Verlorene Söhne und Töchter (Luk. 15:11-24)
Was empfindet ein Mensch, dem es so geht, wie dem verlorenen Sohn aus Jesu Gleichnis? Der verlorene Sohn hat grob gegen den Himmel und seinen Vater gesündigt. Als ihm das deutlich vor Augen stand, schämte er sich und wollte nur noch ein Lohnarbeiter bei seinem Vater sein: “Vater, ich habe gegen dich und den Himmel gesündigt. Ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden. Lass mich wie einer deiner Lohnarbeiter bei dir sein.” Und dieser Sohn findet Barmherzigkeit als Hilfe für ein besseres Leben und als Beweis der Liebe seines Vaters! Und nach diesem Muster finden immer noch Menschen, verlorene Söhne und Töchter, zu ihrem Ursprung zurück!
Das alles tut der Allmächtige heute noch durch Jesus Christus, und glücklich darf sein, wer dies an sich erleben kann! Der größte Akt der göttlichen Barmherzigkeit liegt noch vor uns: Die Auferstehung von den Toten, wenn sich das Versprechen Gottes erfüllt und der Tod “für immer verschlungen” sein wird!