Für mich ist die gegenwärtige Welt in vielen entsetzlichen Bildern eingefangen. Jedes Bild ist ein verzweifelter Schrei, jedes Bild die Qual und der Tod eines Menschen. Wie viel Elend und Unglücklichsein kann ein Bild ausdrücken?
In mir erzeugen diese Bilder der vielen Gewaltexzesse einen starken Widerwillen gegen die Verursacher, gegen diese Welt, die in Blut ertrinkt. Das macht mich tief traurig und zornig. Manchmal denke ich, dass diese Zustände die schrecklichen Bilder der Offenbarung dagegen verblassen lassen. Die erlebte Wirklichkeit ist schrecklicher!
Die Menschheit schreit um Hilfe; der Schrei wird immer lauter – ich muss mir die Ohren zuhalten. Ich kann auch die furchtbaren Bilder nicht mehr sehen, ich muss die Augen schließen. Ich kann nicht mitleiden, dazu bin ich zu schwach. Mit einzelnen Menschen kann ich mitleiden, aber mit einer ganzen Menschheit nicht. Das drückt mich zusammen! Und es gibt Momente, in denen ich das Elend der Menschen so deutlich fühle, dass mir die Tränen in die Augen steigen. Ja, ich weine und kann diese tiefe Traurigkeit kaum abwenden. Dann muss ich mich innerlich umwenden und an ein Wort des Propheten Jesaja denken, das dazu auffordert, ‚in die Kammer zu gehen, die Tür zu schließen und sich zu verbergen‘. Ich kann nicht verstehen, warum Gott noch wartet und das Böse weiter wüten lässt.
Wie steht Gott dazu?
Kann er das noch anschauen? Was empfindet er, was denkt er sich dabei? Warum dauert es so lange, bis er eingreift, bis sich sein Wort erfüllt? Warum triumphiert das Böse immer noch? Ich werde an den Propheten Habakuk erinnert, der im Gebet zu Gott schrie:
„Wie lange schreie ich schon zu dir, Jehowah, doch du hörst mich nicht! Ich rufe: „Hilfe“ und „Gewalt“, doch du rettest nicht. Warum schaust du dem Verderben zu? Warum lässt du mich das Unrecht sehen? Warum sehe ich nur Frevel und Gewalt, erlebe Zwietracht und Streit?“
Ich kann diesen Fragen nicht ausweichen. Hat der Prophet eine Antwort bekommen? Ich suche auch nach einer Antwort. Zuerst muss ich mich fragen, ob ich Gott immer verstehen kann und muss. Und dabei denke ich an Hiob, der in seiner Verbitterung harte Worte an Gott richtete, als er bittere Vorwürfe erhob. Ich erinnere mich, dass er Gott fragte, ob es ihm Spaß mache, ihn als Zielscheibe hinzustellen und auf ihn zu schießen. Er beklagte seine Rechtlosigkeit, seine Ohnmacht, seine Hilflosigkeit. Er wollte unter allen Umständen mit Gott reden, um zu erfahren, warum Gott ihn als seinen Feind betrachtete. Aber Hiob war im Irrtum! Gott war nicht sein Feind. Gott bestrafte ihn nicht für seine Sünden, deren er sich nicht bewusst war. Aber seine Bekannten versuchten es ihm so einzureden.
Interessant ist es nun für mich, auf die Art und Weise zu achten, wie Gott mit Hiob umging: Es kam kein Blitzstrahl aus dem Himmel. Nein, Gott antwortet nicht einmal auf die einzelnen Anklagen Hiobs. Stattdessen führte ihn Gott zu Einsichten, ohne zu drohen, ohne auf seine Macht zu pochen, ohne seine Autorität zu missbrauchen. Er wollte Hiob tatsächlich zu einer bestimmten Einsicht führen.
Gott verleiht Einsichten, die einen Menschen von Grund auf umwandeln können. Diese Einsichten vollziehen sich unter dem Einfluss des Geistes Gottes. Auf diese Weise geschieht alles in der Stille und in der Freiheit. Da sind kein Druck, kein Androhen von Konsequenzen, keine wortreiche Überredungskunst und kein Lächerlichmachen von Seiten Gottes. Hier spricht Gott das Herz (den inneren Menschen) und den Verstand an. Man hat bei dieser Belehrung nicht das Gefühl, etwas gegen die eigene Herzensüberzeugung tun zu müssen. Man kommt nicht zu einer erzwungenen Einsicht unter dem Wissen, dass Gott der Stärkere ist und man sich ihm einfach beugen müsse. Die Freiheit des Menschen wird respektiert und seine Würde auch.
Dem Menschen Hiob wurden zwei Tatsachen klar, indem er nachdachte und der Spur folgte, die Gott ihm in seiner Rede aus dem Sturm gelegt hatte: Er sah ein, dass man den Höchsten nicht vor ein Tribunal fordern kann, denn er ist über alle Zweifel gerecht und wahrhaftig, er ist Liebe! Er hat nicht den geringsten Grund, Unrecht zu tun! Gott ist in höchstem Maße Wahrheit und Gerechtigkeit. Und deshalb bleibt dem Menschen nur dies: Der höchsten Majestät, dem himmlischen Vater, bedingungslos zu vertrauen, auch wenn er nichts mehr versteht, auch wenn der arme, begrenzte menschliche Verstand überfordert ist. Auf diese Weise ist Gott größer als unser Herz.
Die Einsicht in die eigene „Armut vor Gott“
Um dahin zu kommen, muss man zuerst einsehen, dass man „von geringer Bedeutung“ ist (Hiob 40:3, 4). Auch ich muss einsehen, dass ich furchtbar arm vor Gott bin! (Mat. 5:3) Erst wenn mir diese Armut, die ja auch eine Armut im Verständnis und in den Möglichkeiten ist, begriffen habe, dann erst habe ich auch begriffen, dass ich Gott wirklich brauche, dass ich ohne ihn nicht sinnvoll als Mensch leben kann, dass ich ohne ihn nicht wahrhaft glücklich sein kann.
Als Mensch bin ich das Ergebnis einer wunderbaren Idee Gottes, aber so beschaffen, dass ich nur mit Gott leben kann. Ich muss an Gottes Hand gehen. Meine menschlichen Möglichkeiten entfalten sich erst richtig unter der Liebe Gottes. Unter dem Einfluss seiner Weisheit kann ich leben und lieben lernen. Darum ist ER der Vater seiner irdischen Kinder.
Ich will auch die Tatsache anerkennen, dass Gottes Gedanken tatsächlich höher sind als die der Menschen (Jes. 55:8-11). Bin ich deshalb enttäuscht? Nein, ich bin es nicht! Denn ich habe auch verstanden, dass ich in Gottes Gedanken einen Platz gefunden habe. Ich fühle mich willkommen geheißen und beachtet; das ist jedenfalls meine eigene Erfahrung. Aus dieser Erfahrung mit Gott kommt dann auch das Vertrauen. Und ich sage mir: „Du darfst vertrauen, auch wenn du nicht alles verstehst!“
Habakuk musste auf Gott warten
Ich komme zurück zu Habakuk. Als er Gottes Willen vernommen hatte, beschloss er vertrauensvoll auf Gott zu warten:
„Nun warte ich auf den Tag der Bedrängnis… Zwar blüht der Feigenbaum nicht, der Weinstock bringt keinen Ertrag, der Ölbaum hat keine Oliven, die Kornfelder keine Frucht …. Dennoch will ich jubeln über Jehowah, will mich freuen über den Gott meines Heils.“ (Hab. 3:16-18)
Auch wenn die Lage hoffnungslos erscheint, wenn weder ‚Feigenbaum noch Weinstock‘ Ertrag liefern, bleibt mein Vater im Himmel dennoch der Gott meiner Rettung! Und ich bin sein Kind und will es bleiben! Die drängende Frage nach dem Zeitpunkt für Gottes Gericht bleibt, und meine Geduld wird auf die Probe gestellt. Aber es wurde schon den Aposteln gesagt: „Ihr müsst das nicht wissen“.
Am Ende wird es so sein: Mein Vater im Himmel wird tun, was für mich gut ist! Und ich darf auf ihn warten! Ich muss daran denken, dass Verheißungen durch Geduld erlangt werden. Bis dahin will ich ganz bewusst das tun, was andere auch gemacht haben:
„Auf, meine Seele, lobe Jehowah, und vergiss es nie, was er für dich tat. Er vergibt dir all deine Schuld. Er ist es, der all deine Krankheiten heilt, der dein Leben vom Verderben erlöst, der mit Gutem dein Alter sättigt und wie beim Adler dein Jungsein wieder erschafft.“ (Ps. 103:2-5)
Meine Hoffnung
Worauf hoffe ich? Auf keinen Fall hoffe ich darauf, dass der Mensch seinen wahnsinnigen Lauf in den Untergang von sich aus beendet. Wir haben alle dieselbe geschichtliche Erfahrung, die eine Hoffnung auf die Macht und den guten Willen des Menschen zu Asche werden lässt: Wer die Probleme der Vergangenheit nicht gelöst hat, wird auch bei den heutigen lebensbedrohenden Gefahren versagen. Wer in der Vergangenheit ohne Einsicht und Verantwortungsgefühl gehandelt hat, wird es auch in Zukunft nicht anders machen. Man wird versagen, weil man sich einbildet, ohne Moral, ohne Sittlichkeit, ohne Liebe zum Menschen, ohne jede höhere Verantwortung zum Ziel zu kommen. Und das politische Tagesgeschäft wird das bestätigen. Nein, mit solchen Menschen wird eine Änderung zum Guten nicht möglich sein!
Mir bleibt dann nur die eine Hoffnung: Gott, mein Vater im Himmel, wird sein Wort halten! Ich glaube fest daran, dass sich Gottes Wort erfüllen wird, wie es sich immer erfüllt hat. Die Geschichte der Menschheit ist der Beweis dafür, dass sich Gottes Wort immer erfüllt hat! Im Gegensatz zu den auf falschem Fundament ruhenden Hoffnungen der Menschen auf Glück, Frieden, Freiheit und Wohlstand, hat sich Gottes Wort erfüllt. Unsere Geschichte ist die eines grandiosen Scheiterns; es ist die ‚Krankengeschichte eines Irren‘ (Gottfried Benn). Aber unbeirrt wird die Menschheit weiter versuchen, ohne die Weisheit Gottes, ohne diese „Lebensversicherung“, ihre eigenen Ziele zu erreichen. Alle Fehlschläge und Katastrophen werden nicht zur Einsicht führen. Wie ein süchtiger Spieler, der schon alles verloren hat, wird man weiter versuchen, doch noch zu gewinnen. Man wird auch in der Zukunft eher auf menschliche Glücksverheißungen hören, als auf die Weisheit Gottes. Die Menschheit scheint beratungsresistent zu sein. Soweit meine Feststellung!
Zusammen mit anderen Menschen, die sich auch aus diesem Irrsinn zurückgezogen haben, hoffe ich fest darauf, dass Gott das Böse in jeglicher Form beseitigen wird. Unsere Hoffnung stützt sich „nur“ auf die Bibel, aber für uns ist es das feste und sichere Wort des Schöpfers. Es ist das Wort der Hoffnung. Und diese Hoffnung sagt uns auch, dass wir einen „neuen Geist und ein neues Herz bekommen werden“ (Hes. 36:25-27). Und dann endlich wird ein altes Bild seine wahre Bedeutung bekommen:
„Das Zelt Gottes wird bei den Menschen sein! Er wird unter ihnen wohnen und sie werden sein Volk sein. Jede Träne wird er von ihren Augen abwischen. Es wird keinen Tod mehr geben und auch keine Traurigkeit, keine Klage, keinen Schmerz. Was früher war, ist für immer vorbei!“ (Offb. 21:3, 4)
Und für mich ist es dann nur noch wichtig, nicht an Gottes Wahrhaftigkeit zu zweifeln. Mir ist bewusst, wie leicht das geschehen kann: Als Johannes der Täufer von Herodes ins Gefängnis gesperrt worden war, weil der Prophet dem König seine Sünde offen ins Gesicht gesagt hatte, schickte er zwei Männer zu Jesus, die ihn fragen sollten, ob er der erwartete Messias sei. Dem Propheten waren Zweifel gekommen, denn auch er wartete auf das Friedensreich des Messias. Die Antwort Jesu ist positiv, aber er hängt noch eine Warnung an seine Aussage: „Und glücklich ist der zu nennen, der nicht an mir irre wird“.